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Im Osten viel Neues – Rezension: Shared Cities Atlas

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Wem gehört die Stadt? Probleme wie Wohnungsknappheit, Luftverschmutzung, Lärmbelästigung, Verlust oder Verwahrlosung von Grünflächen, aber auch das Gefühl der Isolation und Vereinsamung belasten zunehmend das urbane Leben. Doch mit der Unzufriedenheit steigt bei vielen Menschen auch der Drang, der Ohnmacht etwas entgegenzusetzen und das städtische Umfeld aktiv zu beeinflussen.

In den östlichen Metropolen Mitteleuropas hat vor allem der Wandel vom sozialistischen System zur Marktwirtschaft in den vergangenen Jahrzehnten elementare physische und psychische Spuren hinterlassen. Dies gilt gleichermaßen für Belgrad, Berlin, Bratislava, Budapest, Kattowitz, Prag und Warschau. Wie Bürger, Architekten, Künstler und Designer den dortigen Veränderungen etwas Neues, Konstruktives entgegensetzen, fasst eine im Herbst erschienene Publikation zusammen: Der von der Kunsthistorikerin Helena Doudovà herausgegebene Band „Shared Cities Atlas. Post-Socialist Cities and Active Citizenship in Central Europe“ berichtet von diversen Initiativen, wobei der Fokus stets auf der Idee des Teilens liegt.

Die Publikation ist das Ergebnis des Projektes „Shared Cities: Creative Momentum SCCM“, an dem elf Partner mitgewirkt haben. Vom Juni 2016 füllten sie das Projekt mit Leben. Sie organisierten rund 300 Aktivitäten, von öffentlichen Diskussionen über Künstlerstipendien bis hin zum Festival.

Bürgerengagement für lebenswerte Städte

Als „Toolkit der besten Praxisbeispiele“ beschreibt Johannes Ebert, Generalsekretär des Goethe-Institutes, die im Atlas vorgestellten Beispiele: „Wir wollen den Bürgern zeigen, dass ihr aktives Mitwirken essentiell ist, wenn es darum geht, die Städte in einen lebenswerteren Platz zu verwandeln“.

Der erste Block des materialreichen, 300 Seiten umfassenden Shared Cities Atlas ist mit dem Titel „Architektur und Räume teilen“ überschrieben. Einleitend stellt David Crowley vom National College of Art and Design in Dublin fest, dass nach dem Fall des Eisernen Vorhangs die Hoffnung vieler Bürger enttäuscht wurde, die demokratische Wende sorge für eine gerechte und transparente Verteilung von Ressourcen. Stattdessen seien neue Probleme hinzugekommen, resümiert Crowley: „Privatisierung und Konsum prägen nun den öffentlichen Raum“.

Čuvari Parka
Association of Belgrade Architects, Serbia © Bosko Djokovic

Als Negativbeispiel nennt er die Bebauung des Uferstreifens der Donau in Bratislava. Für das luxuriöse River Park-Hotel musste nicht nur der Park für Kultur und Erholung mit seinen kleinen Pavillons und einem Theater weichen. Der Architektenwettbewerb hatte ohne slowakische Architekten und fernab in Abu Dhabi stattgefunden. Als „Ausgleich“ für den verlorenen Park bepflanzte der Investor, der seinen Hotelkomplex ausgerechnet „Community Gardens“ taufte, die Promenade mit einer spärlichen Baumreihe und ließ Statuen von fragwürdiger Ästhetik aufstellen – als „Hommage an die vibrierende Kulturszene der Stadt“.

Plastikenten und ein goldenes Kalb

Diese Unsensibilität war vermutlich der Tropfen, der für viele Einwohner von Bratislava das Fass zum Überlaufen brachte: Künstler organisierten 2014 eine „Greedy-City Ralley“, an der 300 Menschen mit goldenen Kostümen und Masken teilnahmen. Sie führten aufgeblasene Enten mit sich – das serbische Wort für Ente klingt wie Fraud (Verrat) – und ein goldenes Kalb, untergebracht in einem Shopping-Trolley. Auch wenn der Volkspark unwiederbringlich verloren blieb, so sorgte der Protest zumindest für internationale Publicity.

Viele Bauwerke aus sozialistischer Zeit – wie etwa das Praha Hotel in Prag – fielen in den vergangenen Jahrzehnten den Abrissbaggern zum Opfer. Nicht nur in den Augen von Marian Zervan und Monika Mitášová ist das ein großer Fehler: Stattdessen plädieren die Architekturtheoretikerinnen dafür, „ikonische Ruinen“ zu revitalisieren. Davon, wie das aussehen kann, zeugen unter anderem die im Atlas dokumentierten Transformationsentwürfe für die Gebäude des slowakischen Radios und der Nationalgalerie. So wie hier setzt die Publikation fast durchgehend Theorie und Praxis in direkten Bezug zueinander, was ihr als Stärke anzurechnen ist.

Urbaner Aktivismus: Urban Hubs bringen Stadt und Bürger zusammen

Ein zweiter Block widmet sich dem „urbaner Aktivismus“, etwa wenn es um das Teilen von Ressourcen geht. Die Kulturtheoretikerin und Urban Researcherin Elke Krasny macht darauf aufmerksam, dass der Begriff „Teilen“ ein neues Schlüsselwort des 21. Jahrhunderts ist, das sich mit dem Aufkommen von Facebook etablierte. Allerdings hat das englische „Sharing“ zwei Bedeutungen: miteinander teilen und einen Anteil abtrennen. So sei auch öffentlicher Raum beides, schreibt Krasny: „Er ist geteilt und getrennt und die Menschen sind darüber gespalten, wie er zu teilen und zu trennen ist.“

Hacking Urban Furniture © Benny Golm

Doch wie lassen sich die Bürger über alle Gräben hinweg einander wieder näherbringen? Sozialistische Gesellschaften waren gewohnt, dass der Staat alles regelt. Andrerseits waren ihnen Arbeitseinsätze zum Wohl der Allgemeinheit vertraut, etwa der Subbotnik. Krasny zieht Parallelen zu den partizipatorischen Initiativen, die sich in den vergangenen zehn Jahren in vielen osteuropäischen Metropolen herausgebildet haben.

Das Ziel dieser neuen „Urban Hubs“ unterscheidet sich nicht von den Subbotniks aus sozialistischen Tagen. Es geht darum, die Verhältnisse zu verbessern, sei es im eigenen Wohnblock oder in der gesamten Stadt. Nur steht heute die zivilgesellschaftliche Verantwortung statt der Ideologie im Vordergrund.

Beispielhaft dafür stehen die Belgrader Park Keepers, ein Projekt, das von jungen Müttern gestartet wurde: Zunächst griffen sie zum Besen, um den zugemüllten Plato Park zu säubern. Doch in Zusammenarbeit mit Anthropologiestudenten und Architekten weitete sich die Initiative zu einer großangelegten Aktion aus. Heute lädt eine rot gestrichene Fläche mit einem großen Holztisch die Bürger ein, sich zu treffen – ein Angebot, dass intensiv genutzt wird und aus dem Quartier längst nicht mehr wegzudenken ist.

Csepel Works
Hungarian Contemporary Architecture Centre – KÉK
Budapest © Gergely Schoff

Daten und Wissen für alle

Im dritten Block des Atlasses geht es schließlich um Möglichkeiten, Daten und Wissen mit den Menschen der Stadt aber auch zwischen den Städten zu teilen. Medialab Katowice, ein interdisziplinäres Team aus Künstlern, Designern und Technikern, sammelte und visualisierte eine große Datenmenge aus den sieben teilnehmenden Städten.

Die Stadt Kattowitz etwa hatte sich 2015 – nach einer kurzen, intensiven Investitionsphase in die kulturelle Infrastruktur – dem internationalen Club der UNESCO Creative Cities angeschlossen. „Hat die Stadt damit eine wahre Kulturrevolution erlebt?“ wollte Medialab Katowice wissen. „Ist der aktuelle Status nur eine Modeerscheinung, oder könnte er ein Herold für umfassende Veränderungen im Stadtzentrum sein?“ Gemeinsam mit Kulturforschern, Designern, Programmierern und Analysten wertete das Team die Antworten von 3.633 Teilnehmern lokaler Veranstaltungen aus. Hinzu kamen Zehntausende von Beiträgen aus den sozialen Medien und webbasierten Informationsdiensten.

Iconic Ruins
Academy of Fine Arts and Design in Bratislava, Solvakia n© Vít Halada
Živé

Welche anderen Orte besuchen die Teilnehmer der Umfrage, wenn sie in die City fahren, um ein kulturelles Event zu besuchen? Welche anderen Kulturveranstaltungen könnten für ein bestimmtes Publikum interessant sein? Wie alt sind die Besucher? Kommen Sie alleine oder in Begleitung? Und wievoel Besucher kommen von außerhalb?

Diese Analyse dieser Fragen sei erst ein Anfang, erklärt Karol Piekarski vom Medialab Katowice Team: „Obwohl die vorgestellten Ergebnisse keine vorgefertigten Lösungen und Antworten bieten, liefern sie mit Sicherheit die Daten und Werkzeuge, die für die Diskussion und Entscheidungsfindung erforderlich sind, um die zukünftigen Entwicklungspfade der Stadt zu steuern.“

Seien es detaillierte Datenbanken oder – ganz analog und niederschwellig – ein paar Besen, Bretter, Farbe und unkonventionelle Ideen, um einen umfassenden kreativen Prozess auszulösen. So oder so ist der Shared City Atlas eine Quelle der Inspirationen, um die Stadt zurückzugewinnen.

Helena Doudova (ed.), contributions by David Crowley, Elke Krasny Peter Mortenbock and Helge Mooshammer | design: Joost Grootens | photography: Olja Triaska Stefanovic | published by nai010 publishers

Weitere Informationen über das Shared Cities-Projekt finden Sie hier

Tags : Elke KrasnyGoethe-InstitutHelena DoudovàJohannes EbertShared Cities Atlas. Post-Socialist Cities and Active Citizenship in Central EuropeShared Cities: Creative Momentum SCCMUrban Hubs