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Koloniale Nachbarn – ein partizipatorisches Projekt

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Fotos: Savvy Contemporary

Es begann mit einem Fotoalbum. Einem Fotoalbum mit Bildern aus Kamerun aus der Kolonialzeit. Bonaventure Ndikung, der Gründer von „Savvy Contemporary. The Laboratory of Form Ideas“ und selber kamerunischer Herkunft, hatte das Album von seiner deutschen Frau geschenkt bekommen. Diese wiederum hatte es von ihrer Großmutter erhalten.

Angelegt hatte das Album der Großvater. Dieser war Anfang des letzten Jahrhunderts in Kamerun tätig, vermutlich als Geschäftsmann. Vermutlich, denn lange Zeit hat die Familie nicht über diese Periode gesprochen. Wie überhaupt bei uns generell wenig über die deutsche Kolonialzeit bekannt ist, die etwa in Namibia 1904-1908 mit der grausamen Tötung zehntausender Menschen aus den Völkern der Herero und Nama verbunden ist.

Geschichte neu bewerten

4_cn_berliner_kulturbilderIm Gegensatz zu anderen dunklen Kapiteln unserer Historie, vor allem der Zeit des Nationalsozialismus, wurde der blutig niedergeschlagene Aufstand in dem südafrikanischen Land bislang kaum aufgearbeitet. Die erst jüngst eröffnete große Ausstellung im Deutschen Historischen Museum in Berlin ist nur ein Indikator, dass sich im Bewusstsein der Deutschen allmählich ein Wandel vollzieht.

Für Lynhan Balatbat-Helbock und Marleen Schröder bot das Album aus Kamerun den Anlass, das partizipatorische Archiv-und Forschungsprojekt „Colonial Neighbours“ ins Leben zu rufen. Gemeinsam mit Jorinde Splettstößer werfen sie dabei Fragen nach der deutschen Kolonialgeschichte und ihren Nachwirkungen und Kontinuitäten in die Gegenwart auf. „Wir möchten die Lücken und Auslassungen im kollektiven deutschen Gedächtnis adressieren“, so die Initiatorinnen. „Auch ist es unser Ziel, dominante Wissensordnungen und Geschichtsschreibungen zu hinterfragen“.

Sarotti-Mohr und Negerküsse3_cn_ansicht_karte

In den Räumen von Savvy Contemporary, das im Wedding in einem ehemaligen Krematorium untergebracht ist, werden nun die Geister der Vergangenheit heraufbeschworen. Und diese kommen teils recht harmlos daher. So etwa in Form des Sarotti-Mohren, der freundlich von Schokoladentafeln herunterlächelt und für viele in Westdeutschland Aufgewachsene positiv besetzt ist. Es ist für sie der süße Geschmack der Kindheit, der mit diesem Emblem verbunden ist. Wie auch die „Negerküsse“, die inzwischen Schoko- oder Schaumküsse heißen, oder der Afrikaner, der auf der österreichischen Kaffeemarke Meinl abgebildet ist, für reinen Genuss stehen. „Dabei sind diese Darstellung zutiefst rassistisch“, betont Lynhan Balatbat-Helbock, „Sie stellen die Afrikaner als minderwertig dar.“

Währenddessen holt Marleen Schröder eine Flasche „Mohrenköpfle Bier“ aus dem Regal. So nenne man das schwäbisch-hallische Landschwein im Volksmund, steht auf dem Etikett erklärt. Die Flasche zählt zu den Neuzugängen im Archiv. In einem Open Call bitten die Organisatorinnen, dem Archiv Briefe, Gegenstände und Fotos beizusteuern und so die Vergangenheit neu zu bewerten. Gemeinsam.

„Zeitgeist aufbrechen“

5_cn_kolonie-und-heimatAll dies seien Relikte eines Geschichtsbildes, das den meisten von uns gar nicht bewusst ist“, so Marleen Schröder. „Durch die Objekte versuchen wir, den Zeitgeist aufzubrechen.“ Das können ebenso Sammelbilder der Margarine Union aus den 50ern sein wie Romane oder aber Ausgaben des Magazins „Kolonie und Heimat“, des Organs der deutschen Kolonialgesellschaft.

Jorinde Splettstößer hat diese die Hefte analysiert und festgestellt, dass die Frauen das koloniale Hierarchiedenken ebenso verinnerlicht hatten wie die Männer und dabei eine frappierende Härte an den Tag legten. „Sie sahen es als ihre moralische kulturelle Aufgabe an, das Gedankengut zu verteidigen“, erklärt die Kulturwissenschaftlerin.

Durch die Objekte fügt sich ein Stein an den anderen. So entsteht ein Panorama des Lebens und Denkens in den ehemaligen Kolonien, aber auch wie dieses Gedankengut und damit verbundene Stereotypen bis in die Jetztzeit nachhallt, Spuren im Alltag hinterlässt.

Im Rahmen der Reihe „FRAGMENTS“ beschäftigen sich zudem Künstler mit dem Archiv. Die erste Intervention von Tito Aderemi-Ibitola, fand am 15. Oktober statt. Gemeinsam mit einer achtköpfigen hatte die Nigerianerin ein Theaterstück entwickelt. Tito Aderemi-Ibitola ist derzeit Artist-in-Residence am Zentrum für Kunst und Urbanistik (ZK/U) Berlin, der Galerie Wedding und SAVVY Contemporary. Weitere fragmentarische Interventionen anderer Künstler werden folgen.

Einen großen Wunsch hegen Lynhan Balatbat-Helbock, Marleen Schröder und Jorinde Splettstößer noch: eine Forschungsreise nach Namibia. Dort möchten sie deutsche Familien besuchen und herausfinden, wie diese im Jahr 2016 über die Vergangenheit denken. „Einige leben sicher wie in einer Zeitkapsel, halten an starren Vorstellungen fest“, vermutet Marleen Schröder. In Berlin jedenfalls werden verkrustete Denkmuster durch das Projekt „Colonial Neighbors“ derzeit kräftig aufgemischt.

 

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