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Bauhaus Campus Berlin: Durch Harry Potter-Wände in die Zukunft

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Foto © Bauhaus Campus

Würde Walter Gropius heute eine App nutzen, um seine Ideen einer humaneren Gesellschaft zu verwirklichen? Würde er mit Hackern zusammenarbeiten, mit Ökologen, mit Ökonomen? Seine Vision war es, dass Künstler, Architekten, Designer und Handwerker gemeinsam eine neue Lebensweise entwickeln. An diese revolutionären Ideen des Bauhaus-Gründers knüpft Van Bo Le-Mentzel an – fast ein Jahrhundert später. „Wir brauchen eine neue Baukultur, die günstiger, gerechter und partizipativer ist“, postuliert der Architekt. Gemeinsam mit dem Kollektiv Tinyhouse University hat er in Berlin den „Bauhaus Campus“ ins Leben gerufen.

Ein Jahr lang suchen Kreative, aber auch Informatiker und Wissenschaftler, nach Antworten auf dringende gesellschaftliche und städtebauliche Fragen: Wie können zeitgemäße und zukünftige Lebens- und Arbeitsformen aussehen? Wie sich ein demokratisches gerechtes Miteinander gestalten? Und dies alles vor dem Hintergrund einer Einwanderungsgesellschaft und wachsenden Metropole.

In der Tradition der Moderne

Bei Annemarie Jaeggi ist Le-Mentzel mit seinem Vorschlag, einen Bauhaus Campus zu gründen, offene Türen eingerannt. Die Direktorin des Bauhaus-Archivs/ Museum für Gestaltung in Berlin gab sofort grünes Licht für das Projekt und erklärt dazu: “Das Projekt steht in der Tradition des historischen Bauhauses, das ja ebenfalls eine schulische Institution war und den Schwerpunkt sowohl auf Bildung als auch auf Bauen legte.“

Eine erste Manifestation des Experimentes ist bereits sichtbar: die „100 Euro Wohnung“, das kleinste Apartment Deutschlands. Lediglich 6,4 Quadratmeter umfasst dieser Prototyp des „Tiny House“ auf Rädern, der sogar über Bad und Küche verfügt. Erstaunlich großzügig wirkt das helle Häuschen. Das liegt vor allem daran, dass sich durch die Deckenhöhe von 3, 60 Meter die Fläche oberhalb des Bades als Arbeits- oder Schafzimmer nutzen lässt. So kann der Schreibtisch versenkt werden, wenn stattdessen das Doppelbett angesagt ist.

Und mehr noch – die gesamte Wohnung kann schrumpfen oder wachsen, je nach Lebenssituation. „Harry Potter Wände“ machen diese Wandlung des Tiny House möglich, das als Teil eines Co-Being-Houses (innerstädtisches Mehrfamilienhaus) konzipiert ist. Die Wände sind nach der Romanfigur Harry Potter benannt, der Mauern durchschritt, um ins Zauberreich zu gelangen.

Neugierige dürfen am eigenen Leib erfahren, wie sich das Wohnen auf dem Campus anfühlt. Test-Übernachtungen sind eingeplant. Erster Nutznießer und zugleich „Gesicht des Campus“ ist der Ökonom Jan Fritsche, dem Le Mentzel den Aufenthalt zum Geburtstag schenkte. Zweimal die Woche wird er aus dem Tiny House einen Podcast senden, der aktuelle Entwicklungen und Diskussionen auf dem Campus aufgreift.

Eigene Währung – Zahlen via App

Die Miete für das mobile „winzige Haus“ beträgt, gefördert vom evangelischen Wohnungsunternehmen Hilfswerk-Siedlung GmbH, nur 100 Euro. Vielleicht steckt hier – angesichts des immer knapper und teureren Wohnraums, bei dem vor allem Studenten und Geflüchtete zunehmend auf der Strecke bleiben – eine veritable Lösung für die Zukunft.

„Warum stehen einem Auto zehn Quadratmeter Fläche zu, einem Menschen nicht?“, stellt Van Bo Le-Mentzel die berechtigte Frage. Längst hätten wir uns an die Blechlawinen gewöhnt, die unsere Städte prägen. Während die Politik den Bedürfnissen der Autofahrer Rechnung trage, hinke die deutsche Baugesetzgebung den Entwicklungen auf dem Wohnungsmarkt hinterher.

Bis März 2018 soll Jan Fritsches Studierstübchen nur eines unter 20 Tiny Houses sein. Weiße Linien auf dem Gelände lassen schon ahnen, wie die neue Nachbarschaft, bestehend aus mobilen Raumstrukturen, bald aussehen könnte. U. a. sollen die Behausungen als Studienräume Ateliers, Werkstätten, Bibliothek und Orte der Begegnung genutzt werden. Ein „Café Grundeinkommen“, durchgeführt von Hackern, wird eine eigene Währung herausgeben, mit der via App gezahlt werden kann. Die sind „absolut avantgardistisch“, würdigt Le-Mentzel das Projekt, das von der Ingenieurin Katrin Hoffmann geleitet wird. Einen Schritt voraus, ganz im Geiste der Moderne.

 

„Ein Campus – kein Campingplatz“

„Es ist ein Campus, kein Campingplatz“, betont Le-Mentzel, der mit seinen Möbelentwürfen für Hartz IV-Empfänger international bekannt geworden ist. „Unsere Idee ist es nicht, viel Freiheit für wenige Menschen zu erreichen.“ Stattdessen stünde ein urbanes Umfeld im Fokus, von dem möglichst viele Menschen profitieren könnten. „Wir wollen eine temporäre Siedlung bauen und darin utopische Ideen erproben: neue Wirtschaftsformen, einen anderen Umgang mit Wasser und Abwasser, Essensresten und Bildungsformaten – kurz: wir wollen Nachbarschaft neu denken.“

Le-Mentzel selber sieht sich weniger als Projektleiter, sondern vielmehr als ein „Medium“, das die Kräfte aufnimmt und kanalisiert. „Wir laden Euch ein, dass Ihr selber baut“, betont er. Jeder kann einen Vorschlag einbringen, „ConstructLab“, ein Pool an Architekten, Tischlern, Designern wird den Ideengeber dabei unterstützen. Jeder könne an dem offenen Prozess teilhaben, so Le-Metzel. Wichtig sei es vor allem, gemeinsam Fragen nach einer sozialeren Baukultur zu stellen.

Politiker beraten – eine Zukunftsvision

Die Vision des Architekturprofessors ist es, bald selber der Gefragte zu sein. Gemeinsam mit Stadtplanern und Politikern und den Bauhaus Campus-Pioniern möchte er dann die großen Themen angehen, die Berlin bewegt. Etwa schlägt er vor, das Bauprojekt BER sinnvoll zu nutzen. Auch postuliert Le-Mentzel eine menschenwürdigere Nutzung des Flughafens Tempelhof, der als überdimensionale Flüchtlingsunterkunft kaum Intimsphäre ermöglicht.

Aber um konstruktive Ideen einbringen zu können, wird erst einmal experimentiert. Gemeinsam und interdisziplinär, ganz in der Tradition der Bauhausgründer.

YEAST-art of sharing wird umfassend über die kommenden Projekte berichten.

 

Weitere Informationen: http://www.bauhauscampus.berlin/

 

Akteure des Bauhaus Campus in den kommenden Monaten sind u.a.:

„Cabin Spacey“, ein junges Start-Up-Unternehmen aus Berlin, das ungenutzte Flächen auf Dächern für Wohnräume erschließen möchte.

„Cafe Grundeinkommen“, ein Hub für das Basic Income Berlin, in dem das Konzept des Grundeinkommens anhand einer eigenen Währung und eines eigenen Warenkreislaufs vorgestellt wird. Das Café dient zudem als Treffpunkt der Community.

„ConstructLab“, eine kollaborative Arbeitsumgebung, in der Architekten, Designer und Handwerker Projekte entwerfen und in die Realität umsetzen.

„Frauraum“, ein partizipativ gestalteter Begegnungsort. Er gibt interkulturellen Dialogen eine Plattform, kann sowohl Schutzraum bieten, als auch Ausstellungs- und Veranstaltungsort sein. Konzeptioniert, entworfen und gebaut wird der Frauraum von einer Gruppe von 12 geflüchteter Frauen und der Künstlerin Tassja Kissing.

„House of Tiny Systems“, in Kooperation mit RESPACE realisiert Katrin Hoffmann das Projekt mit einem selbst entwickelten, autarken und nachhaltigen Grauwasseraufbereitungssystem. Die Architektur des Tiny Houses zeigt, wie sich nachhaltige Technik im Eigenbau mit Design verbinden lässt.

„Refunc Tiny Stories“, Jan Korbes von der Architektengruppe REFUNC experimentiert hier mit Funktionen, Wahrnehmung und Bedeutungen von Komponenten, Material und Ressourcen.

„RESPACE“, ein junges Start-Up, das kleine multifunktionale und mobile Räume konzipiert und baut. Mit einem hohen Anspruch an Architektur, Design und Wohnkomfort plant es derzeit eine mobile innerstädtische Siedlung für Geflüchtete und Studenten. Der Prototyp RETREAT wird auf dem Campus ausgestellt und als CoWorking Space für die Fortentwicklung des Konzepts genutzt

 

 

Tags : Annemarie JaeggiBauhaus CampusBauhaus-Archiv/ Museum für GestaltungJan FritscheTiny HouseTinyhouse UniversityVan Bo Le-Mentzel