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KSWE16 – Macht Kaufen glücklich?

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Foto: Goethe-Institut/Jörg Gläscher

„Oh, ich kauf mir was, Kaufen macht so viel Spaß. Ich könnte ständig kaufen gehn – Kaufen ist wunderschön.“ So tönte Herbert Grönemeyer und führte damit den Shopping-Wahn der 80er-Jahren ad absurdum. Einkaufen als Ersatzreligion. Heute – in einer Zeit globaler Krisen und Katastrophen – denken immer mehr Menschen hierzulande um.

Glücksoptionen kaufen

„Macht Kaufen glücklich?“ Unter dieser Leitfrage diskutierten Tatjana Barchunova, Hartmut Rosa und Joachim Glöckner am 2. Juni auf dem Kultursymposium Weimar 2016 über die „Paradoxien spätmoderner Konsumkultur“.

Der Soziologe Hartmut Rosa wies eingangs auf den Unterschied zwischen Kaufen und Konsumieren hin. Nach der Stufe des Arbeitens ohne Konsumieren sei nun die Stufe des Kaufens ohne Konsumieren erreicht. So stapelten sich bei vielen Menschen zuhause CDs oder Bücher und warten darauf, konsumiert zu werden – oft vergebens.

Obwohl mehr Bücher verkauft werden als je zuvor, werde auch weniger gelesen denn je. Manchem Einkäufer sei es sogar zu anstrengend, die Tüten nach der Shopping Tour auszupacken, so der Soziologe. Die Menschen erwerben eine Fülle an Optionen: Man könnte ja jederzeit die CD hören, wenn sie denn erst einmal in heimischen Regal steht … Nicht anders bei der Buchung eines Luxushotels mit Tennisplatz, Sauna und Fitnessraum – um letztendlich den Urlaub nur am Pool zu verbringen. Kurse würden belegt, die To do-Listen immer länger und der Frust immer größer. Keine Zeit.

Weltausschnitt erwerben

„Ich möchte nicht über die ‚dummen Leute‘ urteilen“, betonte Rosa, „im Gegenteil“. Er selber erinnere sich gut an die Glücksgefühle seiner Teenagerzeit, als er endlich genug Geld für die neue Pink Floyd Schallplatte zusammengespart hatte. Mit jedem Kauf seien Versprechen verbunden: Du erweiterst deine Reichweite, steigerst diene Potenz, nennst einen größeren „Weltausschnitt“ dein eigen.

So etwa biete das schier grenzenlose Angebot des digitalen Musikdienstes Spotify ein mögliches Resonanzversprechen, im besten Fall eine tiefe musikalische Erfahrung. Ebenso könne ein Buch ein neues Universum öffnen, vielleicht sogar das Leben verändern. „Der Wunsch, etwas bewegen zu können, wird in unserer Gesellschaft durch das Objektbegehren ersetzt.“ Gerade deshalb biete die Share Economy die Möglichkeit, auf eine neue Weise mit Dingen, Menschen und sich selbst in Kontakt zu treten.

Völlig dem Konsum versagt hat sich der Minimalismus-Coach Joachim Klöckner, der in sein erstes und sein zweites Leben unterscheidet. Das zweite setzte nach der Tschernobyl-Katstrophe ein. Damals habe sich sein Bewusstsein verändert, so Klöckner. Seitdem passen die Dinge, die er wirklich braucht, in einen Koffer. Alles, was er ein Jahr lang nicht verwendet, wird aussortiert.

Als Coach und durch seinen eigenen Lebenswandel versucht Klöckner, die Menschen zum Nachdenken zu bringen. Ein Beispiel, das ihn freute, war der Bericht eines Familienvaters. Der stand mit rappelvollem Einkaufswagen an der Kasse eines skandinavischen Möbelhauses, hielt inne, fragte sich selbst „Was mache ich hier eigentlich? Was davon brauche ich denn wirklich?“ – und ließ den Einkaufwagen stehen.

Zeit verschenken

Wenn der Kauf für sich selbst schon nicht mehr „wunderschön“ sein mag, dann vielleicht der Kauf für andere? Für Klöckner mehr oder minder dasselbe. Materielle Geschenke macht er schon lange nicht mehr, nicht einmal bei Geburtstagen oder Hochzeiten: Stattdessen verschenkt er Zeit und möchte mit immateriellen Dingen Spuren hinterlassen. Morgens stehe er auf, um sich zu freuen. Beim Teilen werde Dopamin freigesetzt, erklärt er – so sei die Freigiebigkeit tief angelegt im Menschen.

Dabei liebe Klöckner Mode und Design, könne sich durchaus an Objekten erfreuen, ohne diese besitzen zu müssen. „Ich unterscheide zwischen Aneignen und Anverwandeln“. Durch Anverwandeln bringe er die Dinge zum Sprechen.

Schnäppchen jagen

Im System der sowjetischen Planwirtschaft wurde die Soziologin Tatiana Barchunova sozialisiert. „Alle Produkte waren knapp“, erinnert sie sich, „Es gab eine Schlange für alles“. Man musste Güter aller Art horten, da es ungewiss war, ob und wann sie wieder zu haben waren. Und weil man sie zum Tauschen gebrauchen konnte. Heute seien die Russen immer noch im „Jagdfieber“ – daher erfreuten sich etwa Second Hand Läden einer großen Beliebtheit. Auch eine ehemalige DDR-Bürgerin bekannte bei der Publikumsbeteiligung, beim Sale regelrechte Glücksgefühle zu entwickeln – als „Schnäppchenjägerin“.

Auch über die Zukunft des Kapitalismus wurde diskutiert. „Wenn keiner mehr was kaufen möchte, warum arbeiten wir dann noch“, nahm eine junge Frau auf Klöckners Lebensphilosophie Bezug. „Bricht dann nicht unser System zusammen?“

Tags : Goethe-InstitutHartmut RosaJoachim KlöclnerKultursymposium 2016 Weimar Teilen und TauschenTatiana Barchunova