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Haus der Statistik: Alles anders

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ZKB eG

„Allesandersplatz“ – in großen Lettern prangt diese klare Botschaft hoch über dem Berliner Alexanderplatz. Just dort, wo einst die Staatliche Zentralverwaltung für Statistik das Zahlenmaterial für die Zukunftsplanung der DDR hütete.

In der DDR kam aller Planung zum Trotz letztlich doch alles anders. Und auch die Tage des ehemaligen Hauses der Statistik schienen gezählt zu sein. Zehn Jahre lang stand es leer, dann vor dem Abriss und nun vor seiner Wiederauferstehung. 2017 kaufte das Land Berlin das sechs Gebäude umfassende Plattenbau-Ensemble. Doch wie sollten die Flächen von immerhin 40.000 Quadratmetern genutzt werden?

Eine Initiative bildete sich, zu der unter anderem Stiftungen, Architekturbüros, Selbsthilfegruppen und Kunsteinrichtungen zählen. Was sie eint, ist die Überzeugung, dass auf diesem innerstädtischen Filetgrundstück kein weiteres Investorenprojekt entstehen soll, sondern etwas anderes. Sie wollen das Areal den Menschen nutzbar machen, die in der Stadt leben und arbeiten. Etwa den Kunstschaffenden und Kreativen, die es in Berlin immer schwerer haben, Atelierflächen zu finden. Rund zwei Drittel der 180.000 Künstlerinnen und Künstler in Berlin sind in den Stadtteilen rund um den Alexanderplatz ansässig, aus denen sie zunehmend verdrängt werden.

Vielleicht liegt es am üppigen Platzangebot im Haus der Statistik, dass Politik und Bürger an einem Strang ziehen. Hier ist ein Mix verschiedener Nutzungen unter einem Dach möglich: Verwaltung, Kultur, Bildung, Soziales und bezahlbares Wohnen. Dafür entwickelte die Initiative innovative Konzepte.

Ein erstes Ergebnis sind die künstlerischen Prototypen für eine Stadtgesellschaft, die auf Gemeingütern basiert. Präsentiert werden diese Konzepte zur art week von Statista, einer Zusammenarbeit zwischen ZK/U – Zentrum für Kunst und Urbanistik und KW Institute for Contemporary Art.

„Uns geht es nicht nur um den Kiez und Behutsamkeit“, erklärt Philip Horst vom ZK/U. Neben seinen Kollegen Harry Sachs und Matthias Einhoff ist er der künstlerische Leiter von Statista. „Angesichts der zukünftigen Ressourcenknappheit ­ – ob in Sachen Wohnraum oder Bodenressourcen – müssen jetzt weitblickend die Weichen gestellt werden“.

„Logik der Verstetigung“

Keinesfalls, so Horst, dürfe eine Zwischennutzung, wie leider so oft in Berlin, zur Gentrifizierung führen. „Die Zwischennutzung muss überwunden werden zugunsten einer Logik der Verstetigung und der ‚Pioniernutzungen“. Darunter versteht Horst „zweckorientierte Experimente mit hartnäckigen ideologischen Vorzeichen“.

Auch Andrea Hofmann von raumlabor, eine Architektengemeinschaft, die maßgeblich an der Planung beteiligt ist, sieht das Haus der Statistik als ein Leuchtturmprojekt. „Der Begriff des Leuchtturms stammt eigentlich aus der neoliberalen Stadtpolitik, aber die Initiative hat ihn als demokratisches Projekt mit Modellcharakter umgedeutet“, erklärt sie. Entscheidend für die Zukunft sei die Vorsilbe „Ko“. So bildeten Ko-Wohnen, Ko-Arbeiten und Ko-Veranstalten den Kern des 3s Haus der Statistik werde so zu einem Hub, einem Drehkreuz verschiedener integrativer, innovativer Nutzungen: „Stadtentwicklung wird hier erfrischend neu gedacht“.

Kunstaktion brachte Stein ins Rollen

Künstler waren es, die im September 2015 durch eine Plakataktion den Stein ins Rollen brachten und damit eine partizipatorische Lawine auslösten. Das Netzwerk AbBA (Allianz bedrohter Berliner Atelierhäuser) hatte ein riesiges Transparent am Haus der Statistik befestigt. Auf den ersten Blick einem Bauschild ähnelnd, forderte es Bund, Land und EU auf, die kulturelle und soziale Infrastruktur in Berlin zu sichern.

Da damals besonders viele Geflüchtete nach Deutschland gekommen waren, schlug AbBA vor, das Haus der Statistik als Ort für Geflüchtete und Künstler zu nutzen. Über die sozialen Medien verbreitete sich das Projekt in Windeseile und der Bezirksbürgermeister von Mitte, Christian Hanke, versah die Aktion spontan auf Facebook mit einem „Like“. Noch in der Nacht versprach er Unterstützung.

Von Bienen und Menschen

In den Plattenbau eingezogen sind zunächst jedoch die Insekten: Fünf Wildbienenvölker. Jetzt überprüfen Matthias Einhoff und sein Team kontinuierlich, ob es ihnen gut geht. Seit letzter Woche ist das Wohlergehen der Bienen sogar an die neu ins Leben gerufene Kryptowährung „beecoin“ gekoppelt. Jeder, der Anteile erwirbt, darf Vorschläge zugunsten der Bienen einbringen, etwa eine Wildblumenwiese im Innenhof oder eine Demo gegen Pestizide. „Wenn es den Bienen gut geht, geht es auch uns gut“, gibt Einhoff zu bedenken. Schließlich bestäuben diese unsere Wild- und Nutzpflanzen und garantieren so die Artenvielfalt. Die Bienen scheinen ihr Domizil zu schätzen – und verwalten es, wie Einhoff meint, in perfekter Demokratie: „Das Projekt ist wirklich reich an Metaphern.“

„No Trust – No City“

„Raum ist auch ein Ergebnis sozialen Austauschs“, bestätigt der Architekt Christof Mayer von raumlabor. „Was bedeutet dies nun konkret für die Produktion von Stadt als Möglichkeits-, als Gestaltungs- und Verhandlungsraum, in dem Nutzer nicht nur Konsumenten, sondern Bürger sind und deshalb Teilhabe, also ihr Recht auf Stadt einfordern?“ Letztlich gehe es nur um die Frage, wie wir zusammenleben wollen. „No Trust – no City“.

Das Laboratorium kocht jedenfalls auf Hochtouren, um das Haus der Statistik zu einem Modell zu entwickeln. Einem Platz, der Bürgern, Stadtplanern und politischen Entscheidern vor Augen führt, wie es funktioniert, wenn alles anders ist.

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