Seit drei Jahrzehnten engagiert sich Arahmaiani, die ihren internationalen Durchbruch 2003 auf der 50. Biennale in Venedig erlebte und seitdem in renommierten Ausstellungen rund um den Globus vertreten ist, mit ihren Kunstaktionen für die Rechte der Benachteiligten, seinen dies Menschen, die auf Grund ihrer Religion oder sexuellen Orientierung diskriminiert werden oder für Frauen. „Mich interessiert die Wirklichkeit“, erklärt die Malerin, Bildhauerin, Performance- und Installationskünstlerin, die sich in der Tradition der sozialen Skulptur im Sinne von Joseph Beuys sieht. Diesen Sommer hat sie eine Gastdozentenstelle am Südostasieninstitut der Universität Passau inne, wo sie sich gemeinsam mit Spezialisten aus verschiedenen Disziplinen mit Themen wie dem mit organischen Pflanzenanbau beschäftigt.
„Der materiellen Ebene muss eine spirituelle hinzugefügt werden“, so das Credo von Arahmaiani, die als Tochter eines muslimischen Führers und einer buddhistisch-hinduistisch-animistischen Mutter im Spannungsfeld der Religionen aufwuchs. Und immer wieder sucht die Künstlerin, deren Intervention „I love you“ derzeit in der Berliner St. Michaelskirche am Engelbecken zu finden ist, den Dialog. So unterstützt Arahmaiani seit 2010 auf dem zu China gehörigen Tibet Plateau die Mönche eines Klosters, die durch Erdbeben und Umweltverschmutzung bedrohte Region wieder aufzuforsten und eine nachhaltige Lebensweise einzuführen – mit Pragmatismus, wissenschaftlicher Aufklärung und den Mitteln der Kunst.
River elegy: Eine Performance von und mit Arahmaiani
Nachdem 2010 das Mount Merapi-Gebiet auf Java, der Heimatsinsel Arahmaianis, einem Vulkanausbruch zum Opfer gefallen war, führte sie mit dem Künstler Ismanto, dessen Tochter Sekar, dem Sohn Marcel und dem Musiker Nurggiyanta die Performance River Elegy (Nyanyian Duja Sungai) durch. An den Bänken des Flusses, der nun eine Sandwüste war. Sanfte Töne inmitten der Kakophonie der Bagger und Aufräumgeräte…
Warum es so wichtig ist, die Landschaft des Tibet Plateaus zu schützen
– Eine Rede von Arahmaiani in Lab Gonpa im Juni 2012 –
In den ersten zwei Jahren konzentrierten wir uns auf das Müllproblem und pflanzten tausende Pappeln und Pinien. Ebenso luden wir die Dorfgemeinschaft und natürlich auch die Mönche des Lab Klosters ein, die Aktion aktiv zu unterstützen. Tatsächlich sind die Mönche nun verpflichtet, sich über die Umwelt allgemein sowie über das Tibet Plateau im Besonderen unterrichten zu lassen. Im nächsten Schritt werden wir den Fokus auf Gesundheitsfragen legen, ausgehend von der Erziehung bezüglich Lebensweise und gesunder Ernährung. Ein anderes wichtiges Thema ist die Entwicklung und der Gebrauch alternativer kohlenstofffreier Energien. Das wird in der Zukunft ein Programm von höchster Priorität darstellen, neben dem gemeinschaftlichen Erwirtschaften von Einkommen.
Die Umgebung des Tibet Plateau braucht in der Tat besondere Pflege, weil sein Zustand die ökologische Balance sowohl regional als auch global beeinflussen wird. Abgesehen davon, dass es sich um eine der Regionen mit der reichsten biologischen Vielfalt in der Welt handelt, ist das Tableau tatsächlich das größte Eisfeld und der verwundbarste Fleck auf der Erdoberfläche – es ist auch als „dritter Pol“ bekannt. So müssen alle Parteien besonders auf diese Region achten. Zusätzlich stellt das Plateau den „Wasserturm“ Asiens dar, weil mehr als zwei Milliarden Menschen von dem Wasser leben, das dem Tibet Plateau entspringt und dann durch große Flüsse wie den Yangtze, den Mekong, Yellow River, Brahmaputra, Ganges , Indus und den Salween in die Täler fließt.
In der Tat schmelzen die Gletscher und das ewige Eis nun schnell und verursachen oft Fluten und Schlammlawinen. Diese Tatsache erfordert selbstverständlich sorgfältige Beobachtungen und rasche Gegenmaßnahmen. Umweltexperten haben vorausgesagt, dass – wenn nicht schnell gehandelt wird – die Wasserquellen 2030 ausgetrocknet sein werden! Darüber hinaus wird die Knappheit an sauberem Wasser die Welt die nächsten Jahre beeinträchtigen. Umweltprobleme betreffen die ganze Welt. Auf der einen Seite bietet die moderne Industrialisierung und Globalisierung Profit und Vorteile. Auf der anderen Seite jedoch birgt sie die Gefahr, die Umgebung sowie das ökologische Gleichgewicht zu zerstören. Das Abholzen von Wäldern sowie der kurzsichtige Gebrauch natürlicher Ressourcen – vor allem nichterneuerbarer Vorkommnisse wie Öl, Gas und Kohle – haben zu verheerenden Umweltproblemen für die Menschheit geführt.
Die Menge an Karbondioxid, produziert durch industrielle Verschwendung ebenso wie die Treibhausgase, haben die normalen Schwellenwerte weit überschritten und müssen rapide reduziert werden. Zu den globalen Auswirkungen auf das ökologische Gleichgewicht zählt der Klimawandel. Heutzutage – abgesehen von der Schwierigkeit, den Rückgang landwirtschaftlicher Produktion, extreme Temperaturschwankungen, Dürre und Klimawechseln vorauszusagen und zu beeinflussen – führt der Klimawandel zu immer häufigeren und massiveren Naturkatastrophen wie Fluten und Erdrutschen. Und allgemein fördert das ökologische Ungleichgewicht andere Naturkatastrophen wie Erdbeben, Tsunamis, Vulkanausbrüche, die zum Verlust vieler Leben und der Zerstörung der Infrastrukturen führen. Auch bringt die moderne Industrie, die sich auf Großstädte fokussiert, die Probleme der Urbanisierung mit sich, während Dörfer und abgelegene Orte von ihren Einwohnern verlassen werden, besonders von der jüngeren Generation. In der Folge wird das Dorf vernachlässigt, sein Potential bleibt unerforscht, da es als unterentwickelte und altmodisch angesehen wird.
Der Einfluss des materialistischen und individualistischen modernen Lebensstils verursacht auch Probleme auf der Ebene des gemeinschaftlichen Lebens und der Kultur. Werte der Gemeinschaft sowie der spirituellen Kultur werden als wertlos für dieses Leben betrachtet. Aber ist das wahr? Wenn wir der Realität ins Gesicht sehen, ist das gegenwärtige globale Wirtschaftssystem extrem krisenanfällig und bietet keine Garantie für seinen Bestand. Ganz offensichtlich sollte das Vertrauen in den modernen Lebensstil und dessen Moden hinterfragt und überdacht werden. Ebenso offensichtlich hat dieses System eine immer weiter auseinanderdriftende Kluft zwischen den Reichen und den Armen erzeugt. Es hat eine kleine Gruppe der sehr Reichen auf der einen Seite und eine große Gruppe der Armen auf der anderen Seite hervorgebracht.
Auf diese Weise kann der Individualismus einigen Menschen die Chance bieten, eine extrem glückliche Position zu genießen, während gleichzeitig diejenigen marginalisiert werden, die keine Chance haben. Oder mit anderen Worten, es ist beinahe unmöglich für die sehr Armen, eine Chance zu erlangen! Ja, moderne Systeme betonen die Entwicklung individueller Kreativität und ignorieren die kollektive Kreativität. Ist jedoch diese Betonung der individuellen Kreativität besser für das Leben? Wenn man auf das schaut, was in diesem modernen Leben geschieht, sollten wir diese allerdings bezweifeln und neu betrachten.
Meiner Meinung nach hat das moderne Leben übermäßig das Räsonnement und den Individualismus privilegiert – das was ursprünglich als „Aufklärung“ angesehen war, ist nun dekadent und morsch. Alles ist exzessiv geworden – und hat längst die Schwelle überschritten. In der Tat ist nichts falsch daran, dem außergewöhnlichen Individuum einen Platz zu geben, das eine Art Erleuchtung für die Menschheit darstellen kann. Doch moderne Lebensstile und Moden sind moralisch und ethisch abgesackt und entmutigen nun in der Tat das Ego, sich selbst zu verhätscheln. Diese Art von Anbetung des Egos bringt desaströse Nebenwirkungen und Leiden für die Menschheit und das Leben im Allgemeinen mit sich. Das Leben ist heutzutage nicht mehr menschlich. Während die Struktur des modernen Lebens ursprünglich den Beweis menschlicher Zivilisation darstellen sollte, ist sie nun verletzlich für die Krise und das Verbrechen. Die Natur und die Menschen (die selber Teil der Natur sind) neigen dazu, wie reine Objekte behandelt zu werden, während das menschliche Ego den Regulator und Meister des Lebens auf einer fortwährenden selbstverletzenden Mission darstellt.
Dieses System, das verletzlich ist für die Krise und ausbeuterisch gegenüber natürlichen Ressourcen, hat nun das Leben selber dem Risiko ausgesetzt. Die Menschheit ist konfrontiert mit der Bedrohung einer Zukunft ohne Glanz, einer dunklen und schweren Zukunft. Naturkatastrophen wiederholen sich. Die Bevölkerungsexplosion ist schwierig zu kontrollieren. Als Reaktion wird all dies verschiedene Probleme erzeugen, darunter Nahrungsmittelknappheit und sich immer weiter ausbreitende Armut. Es ist schon möglich, sich vorzustellen, was in der Zukunft passieren wird: das Gerangel um die übriggebliebenen Ressourcen. Die Konsequenz ist, dass die Macht habende Elite gewählt wird, die ihren luxuriösen Lebensstil und komfortablen Standard verteidigen will, den Krieg wählt. Bei wem kann sich die Menschheit dann beklagen und wo findet sie Hilfe? Wer wird ihr zur Hilfe kommen und Schutz bieten, wenn Krieg oder Naturkatastrophen alles zerstören und auslöschen werden?
Es scheint, dass die Menschheit die Fähigkeit hat, zu vergessen, dass das Leben ein schöner Garten ist, der Himmel auf Erden. Die Menschheit vergisst, auf ihn zu achten und ihn zu pflegen. Stattdessen verwandelt sie den Garten in einen Dschungel, in dem wilde und wütende Leute einander ausbeuten. Die Menschheit macht das Leben zur Kampfarena, um auf banale, primitive Art Autorität zu demonstrieren: Macht bedeutet Recht. Da ist kein Platz für die Schwachen und Schutzbedürftigen, da ist kein Platz für jene, die kein Herz für Aggression haben oder die unfähig sind, zu verletzen, die nicht erobern und dominieren können, für jene, die in Frieden leben wollen und das Leben nähren – die Blumen im Frühling betrachten wollen, blühend und reifend – für diese ist kein Platz.
Wenn wir glauben, dass gegenseitige Abhängigkeit eine Tatsache des Lebens ist und die Menschheit ein Teil der Natur, sollte sich der Mensch nicht als Oberlehnsherr betrachten, der exklusive Rechte hat, die Natur und andere Lebensformen auszunutzen. Die Menschheit sollte nicht arrogant und egoistisch reagieren und die Natur und das Leben zerstören. Der Mensch sollte verstehen, dass er in der Tat die Bürde der Verantwortung trägt, die Natur zu bewahren und die Zukunftsfähigkeit des Lebens für zukünftige Generationen.
Lab Gonpa, June 2012
Arahmaiani