Sie beeindruckt, die stuckverzierte Kuppel des Bode Museums in Berlin. So, also wolle sie sagen: ‚Sei andächtig, Du betrittst einen Hort der Hochkultur‘. Hoch oben, in genau dieser Kuppel hängt die blau-weiße Vereinsfahne von Hertha BSC. Nicht eben das, was der bildungsbürgerliche Museumsgänger erwartet.
„Doch die Leute wollen sich überraschen lassen.” Sandra Soltau weiß das. Sie ist die Projektleiterin von lab.Bode, einer Initiative zur Stärkung der Vermittlungsarbeit in Museen. Das „lab“ im Namen signalisiert, dass es sich bei lab.Bode um einen Raum für Experimente handelt. Ein Laboratorium also, das naturgemäß offen ist für Überraschendes.
Im Rahmen des lab. Bode-Schulprogramms machte sich unter anderen die Klasse 5a der Athene-Grundschule für die Aktion „Skulptur & ich & wir“ auf Identitätssuche. Gemeinsam mit den Künstlern Nezaket Ekici, Branka Pavlovic und Julian David Bolivar studierten die Schüler der deutsch-griechischen Europaschule die Positionen, Gesten und die Mimik der Skulpturen im Bode-Museum. Um dabei zu entdecken, dass etliche Gliedmaßen und Köpfe fehlten.
In dem von der Berliner Architektengruppe raumlabor gestalteten Werkstattraum gipsten die Schüler dann die fehlenden Teile am eigenen Körper ein und ergänzten diese durch mitgebrachte Lieblingsobjekte wie einen Teddybär, Familienfotos – oder eben die Fußballfahne. In einem nächsten Schritt stellten die Fünftklässler die Figuren zu neuen Gruppen zusammen, um schließlich phantasievolle Geschichten um diese zu weben und die Erzählungen performativ umzusetzen.
Fußball für immer
„Friedrich der Große ist ein unerbittlicher Herrscher“, beginnt Andrea Günther das fiktive Ereignis, das sich unter Schadows Skulptur des Hohenzollernkönigs abspielt. Der König habe vier Jungen verpflichtet, Fußball zu spielen. „Sie dürfen nicht aufhören. Sie müssen immer weiterspielen. Unendlich.“ Um dies sicherzustellen, hätten Friedrichs Generäle aus dem Siebenjährigen Krieg die Partie, die als Freundschaftsspiel begann und brutal ausartete, mit Argusaugen bewacht.
Um ihre Erschöpfung auszudrücken, wählten die Schüler der Athene-Grundschule das Motiv des Todeskampfes von Laokoon und seiner Söhne. Die Fragmente der antiken Figuren, die sich in den Vatikanischen Museen befinden, waren in der Renaissance fragwürdig zusammengesetzt und erst jüngst von Wissenschaftlern neu konfiguriert worden. Und so wie die Experten sich bemühen, die antiken Fragmente zu einer stimmigen Erzählung zusammenzufügen, so untersuchen die deutsch-griechischen Schüler in „Skulptur & ich & wir“ spielerisch die Fragmente und Facetten der abendländischen Kultur und ihrer künstlerischen Ausdrucksformen, der eigenen Identität und der Klassengemeinschaft.
Schul- und Volontärsprogramm
Seit dem Sommer 2016 ist das Bode-Museum ein Labor zur Erforschung und Erprobung zukunftsorientierter Bildungskonzepte, deren Ergebnisse unmittelbar in die museale Arbeit einfließen. Von Dezember 2018 an kooperiert eine zweite Gruppe von zwölf Museen mit lab.Bode. Die gemeinsam erprobten Methoden und Ergebnisse werden bis 2020 als digitaler Baukasten allen Schulen in Deutschland zur Verfügung stehen; die Berliner Schulen können zudem die neu entwickelten Projekttage kostenfrei buchen.
Im Rahmen des Projektes fördert ein bundesweites Volontärprogramm 23 wissenschaftliche Volontariate im Bereich Bildung und Vermittlung, wobei die Volontäre die Schulprojekte im Bode-Museum begleiten und in ihren Museen eigene Formate entwickeln.
Zwischenbilanz: „Wir stochern im Trüben“
Am 10. Dezember zogen die Teilnehmer und Unterstützer von lab.Bode im Bode Museum eine kritische Zwischenbilanz. Unter anderem berichteten Christoph Martin Vogtherr, Direktor der Hamburger Kunsthalle, und Wybke Wiechell, Leiterin der Abteilung Bildung und Vermittlung der Kunsthalle, von ihren Praxis-Erfahrungen.
„Es ist nicht alles Gold, was glänzt“, erklärte Wiechell offenherzig. Ihr Chef nickte zustimmend. Obwohl Wiechell selber in der privilegierten Situation sei, dass sie das gleiche Gehalt wie die Kuratoren erhalte – eine Ausnahme in Deutschland, wo Vermittlungsarbeit meist stiefkindlich behandelt wird – gehe es dabei nur zäh voran. So betrage das Verhältnis von Kuratoren und Vermittlern in ihrem Hause 10:1,7. Da außerdem die Konzeptarbeit fast nur durch Drittgelder finanziert werde, könne ihre Abteilung keine langfristigen Projekte planen. Die Wende zum Besseren ist also ebenso eine Frage der Einstellung wie der Einstellungen.
Wiechell strebt an, dass Kuratoren und Vermittler eine Ausstellung gemeinsam angehen und die Vermittlung von vornherein als Bestandteil der Gesamtkonzeption einplanen. Doch die Realität sehe anders aus: „Meist landen unsere Ergebnisse in der Besenkammer“.
Wybke Wiechell: „Politik soll Evaluation einfordern!“
Auch bezüglich der Frage, wer die Gäste seien, stochere das Museum noch im Trüben. „Anstelle von einer wissenschaftlich fundierten Evaluation müssen wir uns mit einem gefühlten Wissen zufriedengeben“. Sie fordert daher die Politik auf, eine Evaluation einzufordern.
Innerhalb des Museums sei es nicht geklärt, wer die Deutungshoheit habe und den Diskussionsprozess voranbringe: „Unerlässlich ist ein gemeinsames Vokabular und eine gemeinsame Werteskala.“ Auch die hohen Eintrittsgelder, die sozial schwächere Besuchergruppen von vornherein fernhielten, sieht Wiechell als massives Hindernis für ein heterogenes Museumspublikum.
Lernen von den Angelsachsen
Martin Vogtherr geht mit dieser Kritik d’accord. Der Museumsdirektor, der lange an der Londoner Wallace Collection tätig war, schlägt vor, von Großbritannien zu lernen. Dort unterhielten die Staatlichen Museen meist eine eigene Forschungsabteilung, die den anderen Abteilungen gleichberechtigt zur Seite stehe. Auch herrsche in Großbritannien eine Kultur des sozialen Gebens, die sich unter anderem in freiem Eintritt niederschlage.
Vogtherr plädiert für eine Ausbildung, in der die Vermittlung bereits eine zentrale Rolle spiele. Außerdem sieht er die Notwendigkeit, neue Stellen im Bereich der Bildungs- und Vermittlungsarbeit zu schaffen. Vor allem eine qualitative Evaluation sei unverzichtbar: „Wir müssen wissen, was das Nicht-Publikum möchte. Peer Reviews bringen uns nicht weiter.“ Leider seien ihm in vielem die Hände gebunden: Um nachhaltige Änderungen zu erreichen, mangele es schlichtweg am Geld.
Julien Chapuis, Leiter der Skulpturensammlung und des Museums für Byzantinische Kunst, findet den Bericht aus Hamburg „herzzerbrechend“ und erkennt darin die Berliner Situation wieder.
Raus aus der Komfortzone
Auch Chapuis verweist auf die vorbildhafte Vermittlungsarbeit im angelsächsischen Raum. Er arbeitete zuvor in The Cloisters, einer Zweigstelle des Met Museums in New York, wo zwei Kuratoren und fünf Vermittler kooperierten. In Deutschland hingegen beobachtet der Franzose starre Hierarchien. „Die Direktoren kommen direkt von der Uni und halten ihren Titel 35 Jahre lang“. Seine Forderung ist eindeutig: „Raus aus der Komfortzone“.
Auch Hortensia Völkers, Vorstand und Künstlerische Direktorin der Kulturstiftung des Bundes, beklagt die langsame Entwicklung und den akademischen Dünkel in Deutschland: „Wir haben 70 Millionen für Bildung aufgebracht, aber die Museen bewegen sich wahnsinnig langsam.“ In zwei Jahren sei Lab.Bode beendet. „Wir sind mit dem Porsche vorgefahren, was das Geld betrifft. Aber was bleibt, wenn wir wieder weg sind?“
Chapuis setzt vor allem auf die Volontäre, deren Schulzeit noch nicht allzu lange zurück liege und die eine gesunde „Aggressivität“ mitbrächten. Lab.Bode könne ein Vorbild für andere Museen sein. „Dieses Projekt muss nicht alles lösen, kann aber vieles klären“ relativiert Heike Kropff, die Leiterin der Abteilung Bildung/ Kommunikation bei den Staatlichen Museen zu Berlin. So biete lab.Bode jetzt bereits wichtige Impulse – sowohl für die anderen Häuser der Stiftung als auch für die Museen bundesweit.
Mehr Lässigkeit bei der Vermittlungsarbeit
Wichtig sei der Prozess, das Ausprobieren. „Ich wünsche mir mehr Lässigkeit bei der Vermittlungsarbeit“, fügt sie hinzu. Noch hinkten die Kunstmuseen den Bibliotheken und historischen Museen allerdings Lichtjahre hinterher. Auch Hortensie Völkers bleibt optimistisch: „In fünfzehn Jahren ist die deutsche Museumslandschaft eine andere.“
Das freilich setzt Offenheit voraus, denn das entscheidende Zuspiel kommt oft aus überraschender Richtung. So wie bei den Aktionen von lab.Bode. Da überquert zum Beispiel der Fußball die Linie vom Stadion hinein in den Musentempel. Es gibt Einwurf und das Spiel kann eine neue Wendung nehmen –, sofern es nicht abgepfiffen wird.
Siehe auch unseren Beitrag auf YEAST-art of sharing: Lab.Bode: Denkraum – Freiraum – Plattform