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Geplantes Migrationsmuseum: „Wir wollen kein Lila-Laune-Land darstellen“

Domid Archiv Köln
DONMiD-Archiv Köln, Fotos: Dietrich Hackenberg

„Lebendig werden die Exponate erst durch die zugehörigen Geschichten“, erklärt Robert Fuchs, Projektleiter des Kölner Dokumentationszentrums und Museums über die Migration in Deutschland e. V., kurz DOMID genannt. Er weist auf eine orange Babybadewanne aus Plastik. Ein Pope sei damit in den 60er-Jahren im Rheinland über Land gefahren, um Kinder unter Wasser zu tauchen – ein fester Bestandteil des griechisch-orthodoxen Taufrituals. Und ein anschauliches Beispiel dafür, unter welch flexiblen Bedingungen religiöse Tradition auch im Gastland ausgelebt werden könne.

Auch die anderen Alltagsgegenstände im DOMID-Depot zeugen von individuellen Geschichten sowie kollektiver Geschichte. Ein Spirometer etwa, mit dem das Lungenvolumen untersucht wird, erinnert an die Gesundheitsuntersuchungen der ersten „Gastarbeiter“ in der Anwerbestelle Istanbul.  Zwischen 1955 und 1973 hatte die Bundesregierung Anwerbeabkommen mit Italien, Spanien, Griechenland, der Türkei, Marokko, Portugal, Tunesien, Jugoslawien und Südkorea geschlossen.

Fotos zeigen eine junge deutsche Ärztin, die mithilfe des Lungenvolumenmessgerätes einen Türken in Unterhose untersucht. Ihm ist die Prozedur sichtlich unangenehm. Und tatsächlich zeugt eine Reihe an Interviews davon, als wie erniedrigend die vorgeschriebene Musterung von vielen Männern empfunden wurde.

Sensible Papiere

Die Temperatur von 17 Grad Celsius im nächsten Raum kommt an diesem heißen Sommertag einem Kälteschock gleich. Doch die Kühle sei die ideale  Voraussetzung, um Papiere zu lagern, so Fuchs. „Sensible Papiere“ steht auf einem der Grafikschränke. „Sensibel“ in Hinblick auf die Materialbeschaffenheit des hier gelagerten Schriftgutes, erklärt der promovierte Historiker. Zum anderen seien manche Dokumente aus datenrechtlichen Gründen behutsam zu behandeln.

Viele Privatpersonen haben DOMID ihre Briefe, Poesiealben, Schulhefte, Fotos u.a. überlassen. Bis unter die Decke werden in dem riesigen Raum Zeitungen gelagert – darunter viele seltene fremdsprachige Exemplare, herausgegeben für Gastarbeiter-Communities in Deutschland. Andere Regale bersten von Kassetten und Schallplatten, so etwa mit türkischer Musik, die von in Deutschland ansässigen Labels produziert wurde. Häufig fragen Medienproduktionsfirmen und Museen nach Exponaten. Jüngst recherchierte dort das Deutsche Historische Museum Berlin für die Ausstellung „Immer bunter. Einwanderungsland Deutschland“.

Domid Archiv KölnIm Laufe seines 26-jährigen Bestehens hat sich DOMID mit über 70.000 Objekten und seiner gut bestückten Bibliothek, die auch graue Literatur umfasst, zu einer bundesweit einzigartigen Sammlung an sozial-, kultur- und alltagsgeschichtlichen Gegenständen der Einwanderung in der Bundesrepublik und der DDR entwickelt. 1990 von türkischstämmigen Migranten in Essen gegründet, stand von vornherein der Wunsch im Fokus, die Leerstellen der Erinnerungspolitik zu füllen. Finanziert werden die Personalstellen des Museums durch das Ministerium für Arbeit, Integration und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen, während die Stadt Köln im vierten Stock des Bürgeramtes Ehrenfeld großzügige Räume zur Verfügung stellt.

Internationale Strahlkraft

Nachdem lange Zeit kein politischer Wille für die Errichtung eines Migrationsmuseums vorhanden war, reagierten Politiker aller Parteien nun umso wacher auf die Zeichen der Zeit, berichtet Fuchs. Ende September sollen erste Ergebnisse einer Machbarkeitsstudie veröffentlicht werden. Als Standort sei eine deutsche Großstadt mit einer langen Migrationsgeschichte gewünscht, wie etwa Stuttgart, Köln, Frankfurt oder Berlin. Dabei ist die Erwartungshaltung hoch, so Fuchs: „Das erste Migrationsmuseum in Deutschland soll eine internationale Strahlkraft besitzen wie etwa Ellis Island in den USA“. Als Schimrherrin konnte die ehemalige Bundesministerin für Jugend, Familie und Gesundheit und Präsidentin des Deutschen Bundestages Rita Süssmuth gewonnen werden.

Dabei sei das Geschichtsbild, dass DOMID vorschwebe, kein Gesamtnarrativ, denn jeder Mensch erinnere sich anders. Gewünscht sei eine geschichtliche Teilhabe für jedermann, neben der Sicherheit und Wirtschaftlichkeit ein wichtiger, nur allzu oft vernachlässigter Aspekt. „Migration soll entdramatsiert werden,“ betont Robert Fuchs. „Aber wir wollen keineswegs ein Lila-Laune-Land darstellen, sondern die Situation kritisch und komplex darstellen.“ Auch Vorfälle wie die Silvesterübergriffe in Köln und anderen Städten, bei denen junge Frauen sexuell belästigt und bestohlen wurden, würden selbstverständlich dokumentiert.

Bislang behilft sich DOMID mit einem virtuellen Museum, das den Vorteil hat, dass damit auch Menschen erreicht werden können, die sonst nicht ins Museum gehen, wie etwa Jugendliche.

Es sind oft unerwartete Aspekte, die bei der Aufarbeitung der Migrationsgeschichte ins Bewusstsein rücken. So hat sich Studien zufolge etwa das Ansehen bestimmter Gastarbeitergruppen im Lauf der Zeit radikal gewandelt. Während beispielsweise die Türken der ersten Einwanderungsgeneration als Verbündete im 1. Weltkrieg positiv wahrgenommen wurden, waren die Italiener mit dem verächtlichen Spitznamen „Spaghettifresser“ versehen. Die Hierarchie kippte jedoch im Laufe der Jahre und inzwischen sind die Italiener äußerst beliebt und integriert, während die Türken sich in den Großstädten oft separieren.

Die erste große von DOMID organisierte Ausstellung „Fremde Heimat“ fand 1998 im Ruhrlandmuseum in Essen statt. Dabei war der Ansatz zu der Zeit innovativ: Migranten wirkten selbstverständlich am Konzept mit und sämtliche Texte wurden mehrsprachig verfasst. Mit dem Projekt „Migration“ (2004-6) rückte auch die Geschichte der Einwanderer aus dem Vietnam, Angola und Mozambique, die in die DDR kamen, in den Fokus.

Eine großformatige Fotoserie im Flur der DOMID-Räumlichkeiten präsentiert Vertreter von Migrantenfamilien, die seit drei Generationen in Deutschland leben und repräsentativ für eine erfolgreiche Integration sind.

Politisch inkorrekt

Von den Irrungen und Wirrungen, die auch sprachlich die Annäherung an den jeweils „Fremden“ begleiteten, zeugt eine Vitrine: So war „Paprika-Gulasch Zigeuner Art“ von Knorr Fix ebenso ein fester Bestandteil der westdeutschen Kindheit wie die „Negerküsse“, die auf keiner Geburtstagsparty fehlen durften. Die diskriminierende Konnotation der Begriffe wurde erst Dekaden später im Zuge der „Multikulturalismus“-Debatte öffentlich reflektiert. Aus den Negerküssen wurden Schokoküsse – in der DDR ohnedies als Grabower Schaumküsse konsumiert – und die „Zigeuner Art“ wich Adjektiven wie „feurig-scharf“.

Sogar der Karnevalsverein „Mülheimer Neger“ beugte sich – wenn auch schweren Herzens – nach 55 Jahren der politischen Korrektheit und benannte sich in „Mühlheimer Klütte“ um. Im Gründungsjahr 1961 hatten sich Stammtischmitglieder schwarz angemalt, um ihre Frauen zu erschrecken, woraus sich eine karnevalistische Tradition herausbilden sollte. Doch nun bleiben die Körperfarbe und die Baströcke in den Karnevalskisten.

Doch solange verschiedene Kulturen in Deutschland aufeinandertreffen, wird es immer wieder neue Tabus geben, die bewusst oder unbewusst gebrochen werden, neue Konflikte, neue Annäherungen, neues Verstehen, neues Nicht-Verstehen, neue Verschmelzungen von Traditionen. Umso wichtiger ist es, dass ein Museum, das diese Entwicklungen begleitet und einem breiten Publikum erklärt, tatsächlich bald gebaut wird.

 

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