„Was sind die Bedürfnisse eines Kranken?“ hatte sich der Architekt Alvar Aalto Ende der 1920iger Jahre gefragt, als er Außenarchitektur und Innendesign des finnischen Tuberkulose-Sanatoriums Paimio gestaltete. Die Ergebnisse dieser Analyse, die Einrichtung eines kompletten Krankenzimmers, ist bis zum 1. März 2020 im Berliner Bröhan-Museum, dem Landesmuseum für Jugendstil, Art Deco und Funktionalismus, zu besichtigen. Sinnigerweise befindet sich der Raum exakt über der funktionalistischen „Frankfurter Küche“, wie der Kurator Fabian Reifferscheidt betont.
Damit sie den Liegenden nicht blenden, sind die Deckenlichter seitlich angebracht, während das amorphe Waschbecken so geformt ist, dass das Wasser möglichst geräuschlos abfließt. Haken und spitze Ecken – ein Arztkittel etwa könnte sich an einer gängigen Türklinke verhaken – sucht man vergebens und das Lindgrün der Wandfarbe streichelt die Seele – ebenso wie der Blick aus dem Fenster in den dichten Wald.
Aaltos Frühwerk: Form Follows Function
Ganz offensichtlich folgt auch bei Aaltos Inneneinrichtung die Form der Funktion. Der kühne Schwung, der den Architekten und Designer weltberühmt machen sollte – ein Ergebnis von Aaltos funktionalistischem Denken. Tatsächlich hatte der Finne zuvor den CIAM-Kongress in Frankfurt am Main besucht, wo er die Architektur und Möbelentwürfe des Projekts „Das neue Frankfurt“ kennenlernte. Später sollte Aaltos Formgebung zunehmend verspielter werden, so etwa bei den Schalen Karhula und der Vase Savoy, für die er sich formal und farblich von der Seenlandschaft seiner Heimat inspirieren ließ.
„Nordic Design. Die Antwort aufs Bauhaus“ lautet der Titel der von Museumsdirektor Tobias Hoffmann kuratierten Ausstellung, die vielerlei Korrespondenzen und Einflüsse, aber auch Parallelbewegungen und Gegensätze aufzeigt.
Gegensätze, wie sie etwa der Architekt Gunnar Asplund anlässlich der großen Stockholmer Ausstellung 1930 formuliert, einer vom Schwedischen Kunstgewerbeverbund organisierten Kunstgewerbe- und Industrieausstellung. Die Schau, die wie kein anderes Ereignis den Durchbruch der Moderne in Schweden markiert, zog über vier Millionen Besucher aus In- und Ausland an. Neben einer progressiven Ausstellungsarchitektur war es Asplund vor allem an einer volksfestähnlichen Atmosphäre gelegen. Das für ihn „typisch Nordische“ definierte er mit Begriffen wie „Schönheit“ und „Festlichkeit“, wobei er sich vehement von der modernen Bewegung in Deutschland distanziert: „Eine deutsche Ausstellung hat nur die Sachlichkeit im Blick – und dass der Biervorrat nicht zur Neige geht“.
Klassisches Design aus Dänemark
Neben Finnland und Schweden legt die Ausstellung den Fokus auf das klassische dänische Design, das sich zwischen 1945 und 1968 entwickelte und dessen Gestaltung von Gebrauchsgegenständen Ikonen hervorbrachte. Ziel war es in diesem Zeitraum vor allem, Qualitätsmöbel zu erschwinglichen Preisen auf den Markt zu bringen. Der künstlerische Aspekt war eher zweitrangig. So waren es ausgerechnet die Möbel der Kooperative FDB-Møbler, dem Verband dänischer Konsumgenossenschaften, die Designgeschichte schreiben sollten. FDB hatte bereits 1942 den Möbelarchitekten Børge Morgensen als Chef für das Zeichenbüro eingestellt. Binnen kürzester Zeit entwarf er mit seinem Team eine vollständige moderne Möbelkollektion. Die Mittelklasse war begeistert von den ästhetisch ansprechenden und dennoch erschwinglichen Möbeln.
In Schweden sollte die Demokratisierung des Designs zur Entstehung des Möbelhauses Ikea führen. Kataloge und Plakate des „verrückten Kaufhauses“ – damit warb Ikea in den Anfangsjahren – dokumentieren seit 1943 den weltweiten Siegeszug der Möbel zum Selberaufbauen, wobei Ikea in Deutschland seinen größten Absatzmarkt fand.
Hygge umfasst soziale Wärme
Dass nordisches Design mehr ist als nur funktional oder ästhetisch ansprechend, verdeutlicht vor allem der schwer übersetzbare Begriff „hygge“, der derzeit auch in Deutschland en vogue ist. Hygge hat viel mit dem ebenfalls nicht exakt in andere Sprachen übertragbaren Begriff „Gemütlichkeit“ zu tun, umfasst aber neben der Ästhetik auch soziale Wärme. So wird die überdurchschnittliche Zufriedenheit der Dänen gerne mit deren umfassenden Wunsch erklärt, das unmittelbare Umfeld aktiv zu gestalten. Gemütlich kann man es sich auch alleine machen.
Ein Designer, der sich 1963 vom in seinen Augen allzu hyggen Einfluss des dänischen Designs befreiten wollte und dem dies auch gründlich gelang, war Verner Panton. Holz etwa ließ der Schüler von Arne Jacobsen hinter sich und experimentierte stattdessen mit Materialien wie Fiberglas und Plastik. Ihm und dem Finnen Eero Aarnio ist in der Ausstellung ein Raumsegment gewidmet, in dem das Design poppig, sorglos und farbenfroh das Leben feiert. Aarnios quietschgrünes „Spielgerät Pony“ aus Metall, Formschaum und Stoff ist hier ebenso zu sehen wie Pantons Kugelleuchte Typ G in Rottönen.