Solvej Helweg Ovesen schlägt mit Kunst als Kuratorin die Brücke zwischen dem Norden und dem Süden, den Etablierten und Newcomern. In ihren Ausstellungsprojekten entwickelt sie diskursiven Denkstoff zur globalen politischen Situation, aber auch zum menschlichen Dasein und zu künstlerischen Strategien. Als gebürtige Dänin saß sie gerade im Konsortium für den dänischen Pavillon der 53. Biennale von Venedig. In Berlin sesshaft ist sie als Künstlerische Leiterin der Galerie Wedding bestens für ihre beeindruckenden Ausstellungsprojekte bekannt.
Und als Gründungsdirektorin für das Große Treffen in den Nordischen Botschaften ist sie zum Inbegriff des künstlerisch-instituitionellen Austauschs und Dialogs geworden. Solvej Helweg Ovesen kuratiert zudem das im Herbst in Berlin stattfindende Nordwind-Festival. Das Performance-Festival präsentiert nach 10 Jahren erstmalig neben nordischen Künstler_innen nun auch arktische und afrikanische Künstler_innen. Im kommenden Frühling wird sie zusammen mit der griechischen Kuratorin Katerina Gregos die erste Biennale in Riga kuratieren.
YEAST – Art of Sharing sprach mit der außergewöhnlichen Kuratorin:
Vor fünf Jahren hast du das Große Treffen als ein Speed-Dating zwischen nordischen Künstler_innen und berliner Kurator_innen initiiert. Im April fand im Felleshus der Nordischen Botschaften das Große Treffen nun vorerst zum letzten Mal statt. Wie wird es mit dieser ungewöhnlichen Idee weitergehen?
Das Große Treffen macht erst einmal Pause. Ein Grund dafür ist für mich, dass man in der Kunst seine Praxis stets hinterfragen sollte, denn es bringt nichts, einfach immer nur weiterzumachen. Das Große Treffen war ein guter Erfolg und die Künstler_innen lieben es natürlich. Mit den Botschaften zusammen überlege ich aber, wie sich daraus eine Ausstellung, ein diskursives Projekt oder eine andere Form entwickeln ließe. Vielleicht kommt das Große Treffen danach auch wieder. Denn die Energie ist da, das Projekt weiterzuführen. Früher hatten wir viele junge Künstler_innen, die letzten Male kamen immer mehr erfahrene Künstler_innen mit großen Chancen, hier Ausstellungen zu bekommen. Sie bedienten aber nicht die usual suspects von jedem Land.
Gäbe es so viele nordische Künstler_innen für eine dauerhafte Weiterführung?
Für das Große Treffen bewerben sich Leute aus allen Ecken von Skandinavien. Interessant ist dabei, dass sich die Kunst der Nordischen Ländern gerade durchmischt. Die Künstler_innen kommen aus der ganzen Welt, um in den nordischen Ländern zu studieren. Früher waren die Niederlande dafür ein idealer Ort. Und nun kommen viele nach Schweden, Finnland, Dänemark, Norwegen oder Deutschland, weil es dort und hier gute Möglichkeiten und Unterstützung für die Entwicklung einer Künstlerkarriere gibt.
Es gibt aber auch Interesse, das Große Treffen in anderen Städten zu machen. Wo das sein könnte, steht noch nicht fest, vielleicht sogar außerhalb Deutschlands. Das Konzept müsste dann natürlich angepasst werden an eine jeweilige Kunstszene, die eine bestimmte Dynamik für nordische oder auch andere Künstler_innen böte.
Was waren schönste oder auch nicht so gute Erfahrungen in diesen fünf Jahren?
Ich bin ein Kind aus den 1970er Jahren und meine Mutter war immer darauf bedacht, mir die Werte von Solidarität, Menschlichkeit und Respekt zu vermitteln. Sie sind für mich alltäglich, aber ich wußte nicht, dass man diese Werte auch verlieren könnte. Ich finde, unsere Gesellschaft hat vergessen, wie sich Solidarität anfühlt, wie viel Energie sie gibt und wie schön es ist, unabhängig vom Geld, Freunde zu haben oder Leute, die einem zuhören, denen man wichtige Ideen oder das, was man auf dem Herzen hat anvertrauen kann. Das ist eine Verbindung von Emotionen und Intelligenz. Sich jemanden Fremden anzuvertrauen und zu vermitteln, darum geht es auch bei dem Verhältnis zwischen den Künstler_innen und den Reviewer beim Großen Treffen. Die besten Erfahrungen waren diese Solidarität und diese Momente des Respekts. Und natürlich ist es dann toll, dass die Qualität der Kunst, die hier verhandelt wird, geblieben ist.
Sehr wichtig und eine gute Erfahrung war auch, zu schauen und zu lernen, wie es ist, wenn sich die Machtverhältnisse umkehren. Die teilnehmenden Künstler_innen suchten sich ja von vornherein die Kuratoren aus, die sie treffen möchten. Die Botschaften hatten mich anfangs gefragt, wie können wir für die Künstler_innen relevant werden? Aber wenn man das möchte, muss man ihnen auch die diplomatische Macht und Plattform anbieten, auf der sie dann wählen können. Ich kann helfen, interessante Kuratoren zu gewinnen und vorzustellen, aber die Motivation kommt dadurch, dass die Künstler_innen für sich selber verantwortlich sind, wem sie was erzählen. Und das bekommt eine eigene Dynamik.
Es war harte Arbeit und brauchte lange Zeit, bis die Interessen von allen Nationen zusammengebracht und gebündelt werden konnten für ein gemeinsames Projekt. Das hat anderthalb Jahre gedauert. Letztendlich hat es aber geklappt, dass wir uns für dieses Projekt gegenseitig unterstützen und das ist dann wiederum sehr positiv.
Vom Norden in den Süden: 2016 hast du das Ausstellungsprojekt „An Age of Our Own Making“ in drei Städten in Dänemark kuratiert. Ein ganz anderes Konzept. Worum ging es?
„An Age of Our Own Making“ fand im Rahmen von IMAGES statt, eine Biennale in Kopenhagen, die zeitgenössische Künstler_innen aus Afrika, dem Mittlerem Osten und Asien präsentiert. In unserem einjährigen Kunstprojekt „An Age of our Own Making“ waren 28 Künstler_innen aus diesen Regionen beteiligt. Sie erforschten die Zirkulation von Leben, Menschen und Materialien und die Spuren oder Abdrücke, die sie in der Welt hinterlassen. Wir wollten untersuchen, wie in den Gesellschaften und Technologien gesellschaftspolitische, ökonomische und ökologische Realitäten von der Menschheit geprägt sind.
Du arbeitetest hier mit Bonaventure Soh Bejeng Ndikung zusammen, mit dem du seit 2015 auch die Galerie Wedding – Raum für zeitgenössische Kunst in Berlin leitest. Wie kamt ihr beide zusammen?
Dr. Ute Müller-Tischler, die Fachbereichsleiterin Kunst und Kultur des Bezirksamts Mitte, hat mich 2014 eingeladen, die Kommunale Galerie kuratorisch zu leiten. Etwa zu derselben Zeit wurde ich auch eingeladen, die IMAGES Biennale in Dänemark zu kuratieren. Da Bonaventure Soh Bejeng Ndikung bereits lange SAVVY Contemporary leitete, habe ich mich erst einmal mit ihm zu Künstler_innen aus Afrika, Asien und dem Mittleren Osten ausgetauscht, insbesondere weil wir in diesem Projekt mit Künstler_innen, die ursprünglich aus diesen Ländern kommen, gerne arbeiten wollten. Ja, und da habe ich ihn eingeladen mit mir die Ausstellungen „An Age of Our Own Making“ für IMAGES zu entwickeln. Als wir das besprochen hatten, habe ich überlegt, dass wir auch in der Galerie Wedding zusammenarbeiten können. Denn wir diskutieren seit Jahren so viel und diese Diskussionen sollten wir gemeinsam für eine Öffentlichkeit fortsetzen. Die Galerie Wedding bietet sich schon als Ort einfach für das Thema Post-Otherness an. Wir haben also unseren Austausch einfach auf die Gesellschaft erweitert.
Post-Otherness-Wedding, kurz POW, hieß auch eure erste Ausstellungsreihe. Wie ist das weitere Programm?
POW in der Galerie Wedding war ein Programm mit acht Soloausstellungen in 2015/16. Es war für uns ein wichtiger Begriff mit der Untersuchung, wie versteht man den anderen, die andere? Nämlich nicht als Opfer, sondern als eine Art Entrepreneur in der Kunst, als Jemanden, der in der Gesellschaft etwas gut oder auch avantgardemäßig entwickeln kann mit zwei Referenzrahmen, zwei Nationen oder zwei Pässen.
Das Programm geht 2017/2018 weiter unter der Überschrift „Unsustainable Privileges“, wieder mit acht Soloausstellungen, aber auch Projekten im öffentlichen Raum. Wir fragen in diesen zwei Jahren danach, wie die Privilegien des Nordens besser verteilt werden können. Also wie können auch Newcomer Privilegien haben und wie werden wir uns dabei unserer Privilegien bewußt. Diese Soloausstellung sind übrigens sehr ästhetische Präsentationen, die intensive und diskursive Inhalte transportieren.
Gibt es Prinzipien für deine kuratorische Auswahl oder Präsentationen?
Ich habe einen Leitsatz, wenn ich jemanden treffe: Denke daran, dass du zuhören musst! Und so beschäftige ich mich mit Künstler_innen, an denen ich ein ernsthaftest Interesse habe und versuche natürlich, ehrlich gegenüber der Qualität von Künstler_innen zu sein, mit denen ich arbeite. Mein Gespür, wo es spannend sein könnte, ist wohl ganz gut und dann geht es um einen menschlichen Austausch zu intensiven Themen oder Arbeitsprozessen. Die Demokratie war ja nie einfach, aber ich versuche immer, eine demokratische Lösung zu finden. Insbesondere durch meine Arbeit mit René Block im Fridericianum habe ich gelernt, wie man als Kurator Ideen zum Ausdruck bringen und Kontextualisierungen unterstützen kann ohne manipulativ einzugreifen.
Welche Rolle spielt Kunst in Bezug auf Teilen und Teilhabe deiner Meinung nach?
Als Kuratorin möchte ich, dass so viele Leute wie möglich die Kunst sehen. Kunst ist für mich so etwas wie Zeitunglesen. Sie transportiert wichtiges Wissen über unsere Gegenwart, ob als sublimes, eher diskursives oder als ein ganz anderes Erlebnis. Ich glaube daran, dass Kunst ein Wissen generiert, das sonst oft fehlt. Alles Menschliche, was nicht in diese Arten von Elitendiskursen passt, findet man auch in der Kunst. Mit ihr kann man sich in der Welt besser zurechtfinden.
Zum Beispiel hat die dänische Künstlerin Stine Marie Jacobsen einen Workshop „German for Newcomers“ in der Galerie Wedding gemacht. Dazu hat sie mit viel Humor ein Buch geschrieben mit eigehenden Beispielen, wie man sich Grammatik anhand des Wissens, das man als Newcomer braucht, merken kann. Insgesamt geht es dabei nicht nur um Sprache, sondern auch um Rechte als Flüchtling, Newcomer oder Expat. Sie hat somit aus künstlerischer Perspektive ein tolles Ausbildungspaket entwickelt, das mit der Repräsentationen in einem Ausstellungsraum genauso spannend bleibt. Für mich ist die ästhetische Seite von solchen Projekten super wichtig, genau wie die Perfektion der partizipatorischen Struktur. Es gibt eigentlich viel zu viele Leute, die versuchen Wissen durch Workshops zu generieren, ohne dass sie wirklich die Qualität haben. Für mich gilt hier das gleiche wie in der Malerei: Die Qualität muss top sein und das Ganze muss ästhetisch überzeugen.
Das Teilen von Autorenschaften finde ich nicht immer nötig, denn es gibt genügend pragmatische und finanzielle Gründe, es nicht zu tun. Man verliert aber auch Teams, wenn die hart arbeitenden Leute nicht kreditiert werden – es ist also essenziell, das zu klären. Äußerst wichtig aber finde ich die Publikumsentwicklung. Sie muss gut gemacht werden, damit nichts redundant ist und immer nur die gleichen Communities dabei sind. Julia Ziegler hat für die Galerie Wedding und andere Kunstprojekte in Berlin via das Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg eine Vermittlungsgruppe initiiert, für die sie über ein Netzwerk von Distributern ein jeweils anderes Publikum für Kunstinstitutionen oder Künstler_innen finden kann. Für die Publikumsentwicklung sind Genauigkeit und Gründlichkeit eines Projektes sehr wichtig.
Wie können Institutionen mehr Menschen an Kunst teilhaben lassen? Wie öffnet man die Institutionen für ein breiteres Publikum? Um derlei Fragestellungen kreisen die derzeitigen Diskussion. Wie siehst du das ?
Kommen wirklich zu wenig Leute? Ich finde, es sollte lieber weniger Kunstinstitutionen geben, die dafür aber mehr Geld haben. Dann würde die Qualität besser sein und automatisch kämen mehr Besucher. Es gibt doch ein riesiges Publikum in Berlin, auch für Sachen, bei denen man sich fragt, warum ein Publikum seine Zeit dafür geben sollte. Gerade in Berlin gibt es viele qualitativ hochwertige Projekte und für die sollte es mehr Unterstützung geben. Es ist absurd, dass Leute in diesen Institutionen ihr Gehalt und ihre Zeit für das Schreiben von Förderanträgen aufwenden müssen. Qualität statt Quantität durch eine bessere Förderung für die Institutionen und vielleicht so etwas wie die City Tax für Künstler_innen, die ihre Projekt selbst realisieren und für kleinere Institutionen. Mehr Fokus und Energie auf die Inhalte, auf die Publikumsentwicklung und besonders die Distribution von Angeboten, so dass man die Netzwerke von Lehrern und den Communities verstärkt und besser einbindet, damit diese die Kunst sehen.
Das ist doch ein Credo, vielen Dank für das Gespräch.