Es geht auch ohne Plastik – Buchrezension


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„Lebe Dein Ändern“ lautet die Devise von Sylvia Schaab, seitdem sie vor vier Jahren den Film „Plastic Planet“ gesehen hatte.  Es schockierte sie, dass in den Weltmeeren sechsmal mehr Plastik als Plankton schwimmt und selbst unser Blut Plastikspuren aufweist.

Schlagartig wurde ihr bewusst, wie dramatisch die Folgen unseres Plastikgebrauchs für Mensch und Umwelt sind. Ebenso wie die Tatsache, dass pro Person allein in Deutschland jährlich etwa 37 Kilogramm Plastikmüll anfällt, der – sofern nicht recycelt – die Natur erheblich belastet. Sylvia Schaab und ihr Mann beschlossen umgehend, das eigene Konsumverhalten zu hinterfragen und den fünfköpfigen Haushalt sukzessive zu „entplastifizieren“.

Die neugewonnenen Erkenntnisse teilt Sylvia Schaab nun in ihrem Buch „Es geht auch ohne Plastik“, das im Goldmann-Verlag erschienen ist. Darin fordert sie ihre Leser auf, sich einer „30-Tage-Challenge für die ganze Familie“ zu stellen und auf Plastik so weit wie möglich zu verzichten. Dabei gehe es nicht darum, auf Anhieb perfekt zu sein, betont die Autorin. Vielmehr zähle jede einzelne Aktion: „Viele Menschen, die viele kleine Schritte machen, sorgen für große Bewegungen.“ Und bereits ein Gespräch über ein Leben ohne Plastik könne den Gesprächspartner zu einem nachhaltigeren Lebensstil inspirieren.

Sylvia Schaab formuliert wohltuender Weise ohne moralinsauren oder vorwurfsvollen Unterton. Als Mutter von drei Schulkindern ist sie eher Pragmatikerin mit dem Blick fürs Mögliche: „Nicht jedermann ist gleich motiviert, sein Leben ohne Plastik zu gestalten und auch die Verfügbarkeit der Produkte ist unterschiedlich“. Wer etwa im ländlichen Raum wohnt, hat andere Möglichkeiten und Einschränkungen als ein Großstädter. Und nicht jeder hat eine Milchtankstelle oder einen Unverpackt-Laden in der Nachbarschaft, in dem Kunden die Ware in mitgebrachte Behälter umfüllen können.

Für Eilige und Puristen

Deshalb gibt die Autorin Tipps für unterschiedliche Einkaufsmöglichkeiten und Typen: für Eilige, Puristen, für Selbermacher und Experimentierfreudige. Letzere fordert sie auf, verschiedenes auszuprobieren: einmal mit Kartoffelschalen zu spülen, Kastanien als Waschmittel zu nutzen oder mit einer Einbüschelzahnbürste, wie sie im arabischen Raum gängig ist, die Zähne zu putzen. Deren austauschbarer Borstenkopf besteht aus dem weichfaserigen Wurzelholz des Miswak-Baumes und für die Zahnreinigung bedarf es weder Wasser noch Zahnpasta.

Wer auf Zahnpasta nicht verzichten möchte, dem zeigt Sylvia Schaab Alternativen zur Plastiktube auf. Eiligen empfiehlt sie eine Zahnpasta in der Aluminiumtube, die relativ gut zu recyclen ist, experimentierfreudigen Plastikvermeidern Zahnpasta in Tablettenform oder als Pulver. Für Selbermacher wiederum eignet sich eine einfache Zahnpasta aus Kokosöl, Tonerde und Minzöl und Natron. Wie Natron überhaupt ein Tausendsassa im plastikfreien Haushalt ist, auch wenn es um selbstgemachte Wasch- oder Reinigungsmittel geht.

Plastikfrei: Kreative Lösungen

Ein pestalozzimäßig erhobener Zeigefinger jedoch ist Sylvia Schaab fremd. Vielmehr betont sie unermüdlich, wie wohltuend es auf Dauer ist, sich von Ballast zu befreien. Wer braucht wirklich einen Berg von Spezial-Putzmitteln, Waschpulvern usw., wenn es kreative Lösungen gibt. Die Freude daran merkt man der Journalistin an. Und außerdem: Langfristig bedeute ein gezieltes Einkaufen großer Vorratsmengen mit weniger Verpackung auch weniger Stress.

Manchmal sind die Maßnahmen, um Plastik zu vermeiden, so verblüffend einfach wie nachhaltig: Wer von Wasser in PET- und anderen Flaschen auf Leitungswasser umsteigt, erspart sich jede Menge Kosten und Schleppen. Darüber hinaus werde Leitungswasser wesentlich strenger geprüft als Mineralwasser, so Schaab. Sie empfiehlt einen Labortest – vor allem bei alten Rohren, um die Wasserqualität zu testen.

Neben den praktischen Tipps für den Alltag, oft einhergehend mit weiterführenden Links, bietet das Buch auch jede Menge gut recherchierte Informationen zum „Mythos Müll“.  Stundenlang habe die Autorin hierzu mit Mitarbeitern von Abfallentsorgungs-Abfallverwertungs- und Recyclingunternehmen gesprochen. Das Buch klärt ebenso über Schadstoffe in den verschiedenen Plastikarten auf wie über die Versäumnisse beim Dualen System: Nur etwa 47 Prozent der eingesammelten Plastikverpackungen werden tatsächlich recycelt, der Rest verbrannt.

Alternativen zu Plastik

Konsequenterweise geht Schaab auch auf den Trend zum Bioplastik ein – und auf seine Nachteile. Denn ebenso wie mit Erdöl hergestelltes Plastik ist es nicht kompostierbar. Eine ökologische Alternative zu Plastik stellt vor allem Bambus dar. Schaab gibt jedoch zu bedenken, dass dieser oft von weit herkommt und daher beim Transport viel CO2 verursacht. Sie plädiert daher für Holz aus hiesigen Wäldern, setzt aber vor allem auf nachhaltige Entwicklungen der Zukunft, an denen Wissenschaftler derzeit mit Hochdruck arbeiten.

Vor allem für diejenigen, die sich noch nicht tiefergehend mit den Folgen der Konsumgesellschaft auseinandergesetzt haben, ist das Kapitel von Interesse, in dem Sylvia Schaab die fünf Prinzipien von Zero Waste – Refuse, Reduce, Reuse, Recycle, Rot – erläutert sowie die Philosophie der Cradle to Cradle-Denkschule. Bei dieser Art der Kreislaufwirtschaft werden nur Nährstoffe genutzt, die in geschlossenen biologischen und technischen Kreisläufen zirkulieren.

Jeder könne nur bei sich selbst anfangen, die Welt zu verändern, betont Schaab. Doch man könne andere mitnehmen. Die Journalistin, die seit Jahren den Blog „Grüner wird’s (n)immer“ betreibt, rät, sich mit Gleichgesinnten zusammenzutun – etwa über Facebook oder Instagram: „Organisieren Sie einen Stammtisch, einen Vortrag oder einen Workshop“.

Gemeinsam nach Lösungen suchen

Auch sei es wichtig, mit den Menschen im Umfeld über die Möglichkeiten eines plastikreduzierten Lebens zu reden, etwa mit Laden- und Restaurantbesitzern. Ihrer Erfahrung nach reagierten diese in der Regel durchaus positiv auf Neuerungen wie selbstmitgebrachte Behälter oder transparente Netze und Brotbeutel. Nicht nur sparten die Besitzer Kosten, viele seien selber froh, etwas gegen den Plastikwahnsinn zu unternehmen. Ein zukunftsweisender Schritt, der es wert ist, verbreitet zu werden: Als erste Stadt hat jüngst New York den Restaurants verboten, ihren Kunden übriggebliebenes Essen als Doggy Bag in Styropor-Behältnissen mit auf den Weg geben.

Eine 30-Tage-Challenge für mehr Nachhaltigkeit im Alltag schließlich stellt den selbst erkorenen Plastikvermeider nun jeden Tag vor eine neue Aufgabe. Der Tag 9 etwa hat es in sich: „Lieblingsgericht plastikfrei kochen“, lautet die Aufgabe. Bei Spaghetti Vongole scheint das einfach: Petersilie, Chili und Knoblauch kommen lose in den Marktkorb. Die italienische Pasta ist 4im Karton. Doch wie die frischen Muscheln – tiefgefrorene sind eingeschweißt in Plastik – vom Markt nach Hause bringen? Hier kommt erstmals die am Tag 3 erworbene Box zum Einsatz – plastikfrei, versteht sich.

Plogging mit dem Buddy

Besonders sympathisch ist die Aufgabe 2. Diese lautet, sich einen „Buddy“ zu suchen, etwa die eigene Familie oder eine ebenfalls des vielen Mülls überdrüssige Nachbarin. Mit diesem Buddy gilt es dann, die dreißigtägige Challenge gemeinsam zu durchlaufen. Sprichwörtlich kann dies auch beim gemeinsamen Plogging geschehen, das sich aus dem Begriff Jogging und der schwedischen Vokabel „plocka“ (Sammeln, Suchen, Aufheben) zusammensetzt: Während die Müllsammler gemeinsam durch den Park joggen, heben sie weggeworfenes Plastik auf und strapazieren dabei weitere Muskelstränge. Eine Win-Win-Win-Situation für Freundschaft, Natur, Figur. Und damit gelebtes Ändern.

Und hier geht’s zum Film Plastic Planet

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