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KSWE16 – „Shared Heritage“, Heilpflaster für koloniale Wunden?

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Foto ©Cordula Flegel

„Wir haben eine Verpflichtung gegenüber anderen Ländern“ leitete Neil MacGregor die Diskussion ein. „Shared Heritage“ – Teilen und Tauschen und das kulturelle Erbe in historischer Perspektive wie in aktueller Museumsarbeit war das Thema der Diskussion in der Bauhaus-Universität in Weimar.

Bauhaus-Universität,Herbert Bayer, Foto ©Co.Musterer
Bauhaus-Universität,Herbert Bayer

Den sanierten, nach Plänen Henry van de Veldes 1905/06 als Kunstgewerbeschule errichteten Bau zieren im imposanten Treppenaufgang Wandmalereien von Oskar Schlemmer, an anderer Stelle von Herbert Bayer. Sie verweisen auf die spätere Nutzung des Bauhauses, wo heute die Fakultät Kunst und Gestaltung sitzt. Ein Ort kultureller Geschichte und Erinnerung also, dessen Erbe im studentischen Alltag präsent ist.

Auf dem Podium des Oberlichtsaales der Bauhaus Universität saßen Klaus-Dieter Lehmann, Hermann Parzinger und Neil MacGregor, allesamt Gründungsintendanten des zu errichtenden Humboldt-Forums im zukünftigen berliner Stadtschloss, sowie Sigrid Weigel, ehemalige Direktorin des Zentrums für Literatur- und Kulturforschung Berlin, die in jüngster Meldung den Aby Warburg-Preis der Stadt Hamburg zugesprochen bekommen hat. Sie mahnte an, dass die Erinnerung an die Leistung der Toten in den Alltag mit aufgenommen werden müsse. Das Identitätskonzept aber, welches das „gemeinsame Erbe“ suggeriert, habe nichts mit dem kulturellen Erbe zu tun. “Das kulturelle Erbe ist eine Übertragung unserer Vorfahren, für das wir die Verantwortung haben. Wir sind nur Gast auf dieser Erde und das Leben ist eine Gabe. So gesehen ist das Erbe eine Verantwortung und Ökonomie, die wir teilen.“

1923 Relief von Joost Schmidt, Bauhaus-Universität Weimar, Foto ©Co.Musterer
Bauhaus Universität, Relief von Joost Schmidt, 1923

„Shared Heritage“ ist der derzeitige Schlüsselbergriff für die aktuelle Museumsarbeit und die ambitionierten Reflexionen zum Umgang mit Kulturgütern der kolonialen Vergangenheit. So kreiste die Diskussion um die theoretischen Möglichkeiten, wie Museen der Zukunft, im speziellen das Humboldt-Forum, zu gestalten, welche Inhalte zu präsentieren seien und wie eine Vermittlung des kulturellen Erbes gelingen könne. Streitpunkt war dabei, was dieses gemeinsame, zu teilende kulturelle Erbe eigentlich bedeuten könne.

Hermann Parzinger betonte, dass die Biografie der Objekte lebendig werden solle, damit die Geschichte nicht verloren ginge. Deshalb sind die Ethnologischen Sammlungen, die Museen der Objekte der Welt, aufgerufen, die Geschichten der Sammlungsobjekte immer wieder neu zu erzählen. Multiperspektivität ist hier das neue Schlagwort, das als Vermittlungsanspruch immerhin für die Praxis vorstellbar wurde. So ist es in Großbritannien bereits gängige Praxis, dass die Geschichte eines Objektes zweimal erzählt wird: einmal durch die indigene Kultur des Objekts und einmal durch die Kultur des Ausstellungsortes. Mehrere Kuratoren oder Fachleute teilen den durch ihre eigene Kultur geprägten Blick auf ein Objekt. Die Kontextualisierung mit, nicht aber der Blick aus der Kulturgeschichte Europas heraus, kann so die Geschichts- oder Identitätsschreibung erweitern. Für den Besucher werden Alltagsgegenstände lebendig und vermitteln Leben durch den Blick der Herkunftsländer. Neil MacGregor verwies weiterhin auf die Art der Präsentation in London; dort wird beispielsweise die Historie Indiens oder Chinas im Rahmen der Welt kontextualisiert. Es ginge also nicht darum, Europa zu zeigen, sondern die Welt als Bezugsrahmen zu betrachten.

Das Humboldt-Forum biete die Möglichkeit der Auseinandersetzung der kolonialen Vergangenheit Deutschlands. Wie genau das für die einzelnen Objekte umzusetzen sei, blieb allerdings offen. Klaus-Dieter Lehmann berichtete aber von Tagungen und Gesprächen in Afrika und Brasilien, die bezogen auf die thematische Brisanz der Restitution in der Humboldt-Forum-Debatte stattfanden. Die afrikanischen Vertreter und Kuratoren aus den beteiligten Ländern wären sich einig, dass eine Rückgabe von Kulturgütern nicht gewollt sei, stattdessen solle der Tausch von Objekten unter den Museen die Zukunft sein. Positiv würden somit die heimischen Museen der europäischen Perspektive entkoppelt werden und könnten sich auf die eigene Kultur und Sammlung besinnen.

Das Thema der Rückgabe war so auch schnell vom Tisch, denn wohin sollten die Objekte zurückgegeben werden, sind doch die Verhältnisse heute ganz andere als früher?, fragte Klaus-Dieter Lehmann. Aufgrund der Vielfältigkeit der Objekte und der Individualität jedes einzelnen sei hier ein Pauschalisieren nicht möglich. Zudem seien die Objekte rechtens durch Handel oder Tausch in die Museen gelangt, nur die Grundlagen der rechtlichen Situationen waren damals andere. Neue Wege in diese Debatte gibt es nur über den unmittelbaren Dialog. So sah es wohl auch das Publikum und fragte erstaunlicherweise hier nicht weiter nach.

MacGregor ging so weit, dass er das Humboldt-Forum als „Welterbe-Museum“ wie auch die Universalmuseen als eine Art Leihbibliotheken in Funktion sehen möchte. Die Aufgabe des Museums ist nicht mehr, die eigene Sammlung zu erweitern, sondern den Tausch, die Ausleihe der Objekte einfach und zirkulierend zu gestalten. Entsprechend lösen sich Besitzansprüche auf und die Objekte gehören gewissermaßen weder den Museum noch den Herkunftsländern, sondern der gesamten Menschheit. Eine schöne Vision.

Parzinger bemerkte zudem, dass Museen Generationen verbinden und zum sozialen Ort geworden sind. Diese Besinnung auf die Vielfalt der kulturellen Vergangenheit verhindere nationalistische Tendenzen. Sigrid Weigel warnte jedoch, dass shared heritage nichts anderes als Konfliktforschung sein könne. Im Umgang mit den Kulturobjekten müsse es um den Umgang mit den Differenzen und den Austausch über den Konflikt gehen. Eine Harmonisierung leite hier fehl, denn das Bewusstsein der Geschichte könne man nicht heilen. Im Gegensatz zum Prozess einer Herstellung ist eine Handlung irreversibel. Sie konstatierte den Paradigmenwechsel, der sich mit einem neuen Nachdenken über das kulturelle Erbe, wie es zu sammeln, zu bewahren und zu konservieren sei, vollzogen habe. Es gäbe eine radikale Zäsur seit den 1970er Jahren, als sich die formulierte nationale Identität aus dem Denken der familiären Identität des 18. Jahrhunderts herleitete. Dies spiegelt sich noch heute im Unesco-Begriff „Patrimonium“, der semantisch Kultur und Identität verknüpft. In den 2000er Jahren erhoben die Herkunftsländer der Kulturgüter die gleichen Ansprüche von kultureller Identität wie Europa und seit dem schwillt der Konflikt. Das Bewusstsein der Geschichte kann man nicht heilen. Über die Objekte können die Konflikte der Geschichte aber erzählt werden.

Einigkeit gab es darüber, dass nicht (nur) die Schönheit, sondern das Wissen über die Objekte ausgestellt und geteilt werden müsse. Das Wissen ist es, dass wir notwendigerweise anstelle der Kulturgüter zurückgeben können.

Bleibt abzuwarten, wie ein Museum des Tauschens und Teilens in der globalen Praxis wohl aussehen mag.

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