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KSWE16 – Der verkaufte Freund

Kultur Symposiums des Goethe Institutes in Weimar 2016. Veranstaltung im Kasseturm. Being Faust Physisch digitales Spiel Goethe Institut Korea, Kooperation mit NOLGANG
Being Faust - Enter Mephisto Kultursymposium Weimar 2016 Foto: Cordula Flegel / Goethe-Institut

Ich habe meine Freunde verkauft. Aber ich war unschuldig, denn „alles, was mich dazu mich trieb, Gott! war so gut! ach, war so lieb!“. Und eigentlich wollte ich nur spielen…

Kultur Symposiums des Goethe Institutes in Weimar 2016. Veranstaltung im Kasseturm. Being Faust Physisch digitales Spiel Goethe Institut Korea, Kooperation mit NOLGANGWas ist passiert? Letzte Woche hatte ich in Weimar ein Date mit Mephisto. Genau genommen hatten wir ein Treffen mit dem ewigen Verneiner. MEPHISTO & co. hatte zu einem Spielchen eingeladen – und ca. 30 Teilnehmer des vom Goethe-Institut veranstalteten „Kultursymposiums Teilen und Tauschen“ waren gekommen.

Ort der Deutschlandpremiere war der historische Kasseturm, ein um 1500 erbauter Turm, der einst zur Stadtmauer Weimars zählte. Da hatte er sich ein feines Plätzchen für seine Experimente ausgesucht, der alte Verführer, das musste ich anerkennend zugestehen. Aber verführbar war ICH natürlich nicht, soviel war gewiss. Umso mehr war meine Neugierde geweckt. „‘Being Faust – Enter Mephisto‘ ist ein physisches Spiel, angereichert mit Online- und Social-Media-Elementen, basierend auf einer zeitgenössischen Interpretation von Goethes ‚Faust‘“, hieß es im Programmheft. Entwickelt wurde das Spiel vom Goethe-Institut Korea in Kooperation mit dem koreanischen Game-Label NOLONG.

Das Leben herausfordern

Notwendige Ausrüstung war lediglich ein Smartphone sowie „der Wille, das Leben herauszufordern“. Während ich zwar an meiner moralischen Integrität keine Sekunde zweifelte und an dem Willen, das Leben herauszufordern, nicht minder, machte mich der Gedanke des Handygebrauchs schon eher nervös. Zähle ich doch zur Generation „verdrehte Telefonschnur“, nicht selten von der Teenagertochter belächelt, wenn mein Finger steif und unbeholfen auf die Tastatur des iPhones eindrückte.

Aber reizende junge Mädchen, die mich keineswegs belächelten, halfen mir, die App herunterzuladen und mich im WLAN des Turms anzumelden. Außerdem erhielt ich zwölf Spielkarten mit Werten, von denen ich sechs auswählen sollte. Liebe. Familie. Einige schienen unverhandelbar. Freiheit. Wissen. Wollust. Hmmm – gar nicht so leicht. Aber schließlich hatte ich mich für fünf Werte entschieden.

Um diese zu erzielen, schloss ich einen Vertrag mit Mephisto & Co. ab, der besagte, dass alle Werte, die der Kunde – also ich – begehrte, dem Pop Up Store zur Verfügung gestellt würden. Die Zahlungsmittel zum Erlangen der Werte stelle dann die Bank of Mephisto zur Verfügung. „Als Pfand für den Erhalt von Zahlungsmitteln erkennt die Bank of Mephisto ausschließlich enge Freundschaften des Kunden zu Dritten an.“ Nun wurde es ernst…

Wertvolle Freunde

Kultur Symposiums des Goethe Institutes in Weimar 2016. Veranstaltung im Kasseturm. Being Faust Physisch digitales Spiel Goethe Institut Korea, Kooperation mit NOLGANGNach einer Vorbereitung im ersten Stock ging es dann – nicht herab – sondern die Treppe hinauf in die Unterwelt. Begrüßt wurden wir von charming Mephisto, einem jungen Schauspieler mit dunkler Sonnenbrille, der uns mit tiefer samtiger Stimme die Regeln erklärte. Sechs unserer liebsten Freunde sollten wir aus dem Adressbuch auswählen, verlangte Mephisto. Diese wären besonders viel wert. Und dann forderte er uns auf, einige Freunde der Liste zu verkaufen, um ein Startkapital zu erlangen, mit dem Faust-Zitate gekauft werden konnten, die den diversen Werten zuzuordnen waren.

Während mir schon die Auswahl der Werte nicht leichtgefallen war, geriet ich nun regelrecht in Stress. A.? Nein, niemals. Meine beste Freundin war mir heilig. Mein Vater? „Die sind wohl verrückt“, empörte ich mich. Aber B.? Der kommt immer zu spät. Der schon eher. Und V.? Die hatte doch tatsächlich meinen Geburtstag vergessen. So traf ich – gar nicht so schweren Herzens – die Auswahl, um mir am Bankomaten mein Guthaben ausdrucken zu lassen.

Dann begann das Gewusel. Überall im Saal waren Kästen mit Zitaten aus Goethes Faust aufgestellt. Während ich nun quer las, welche Textstelle zum Wert Familie passte und welche zur Freiheit, rauschte meine humanistische Bildung an mir vorbei. Und ich geriet in Eifer. Der Spieltrieb hatte mich gepackt. „Gewöhnlich glaubt der Mensch, wenn er nur Worte hört, es müsse sich dabei doch auch was denken lassen.“ Klar, das gehörte zum „Wissen“. Und bing – neue Zufriedenheitspunkte waren mir sicher. Einen Augenblick fuhr mir durch den Kopf, wie mein lieber alter Freund M. diese Worte einst bei der Schulaufführung vorgetragen hatte. Hatte ich den eben auch verkauft? Schnell verdrängte ich diesen unangenehmen Gedanken, um mich wieder den Zitaten zu widmen.

Liebe oder Wollust?

Kultur Symposiums des Goethe Institutes in Weimar 2016. Veranstaltung im Kasseturm. Being Faust Physisch digitales Spiel Goethe Institut Korea, Kooperation mit NOLGANGDie Musik stoppte. „Nun wird getauscht“ verkündete der „Teil von jener Kraft, die stets das Böse will und stets das Gute schafft“. Die Teilnehmer sollten versuchen, jemanden zu finden, der die gleichen Werte vertrat und die Karten tauschen. „Nein, ‘Reichtum’ habe ich leider nicht“, bedauerte ich. Ja, das „Wissen“ durchaus. Und neben mir fragte ein junges Mädchen einen älteren Herrn, ob er die „Liebe“ vertrete. Seine Antwort „Nein, die Wollust“ ließ mich laut auflachen, was mir einen pikierten Blick der Spielerin einbrachte.

Die Statusmeldungen der Transaktionen wurden für alle ersichtlich auf einem Bildschirm eingeblendet, humorig kommentiert von Mephisto in der Manier eines Conférenciers. Nach vier Runden war der Sieger gekürt – stolze 164 Freunde hatte er verraten. Nach einem kurzen Anfall von Neid besann ich mich wieder des eigenen Verrats an den Meinen. B. und V. werden es ja nie erfahren, tröstete ich mich. Und beschloss, diese Abgründe meiner Seele aus meinem Bewusstsein zu verdrängen.

Leider nicht sehr lange: Denn kurz darauf erwartete mich eine Mail von MEPHISTO & CO. mit der Kopie des gesamten Faust-Textes, in der die Zitate, die ich gekauft hatte, um mein Freunde zu veräußern, gelb erleuchtet waren… 1:0 für Dich, Mephisto, alter Spieler!

Tags : FaustGoethe-InstitutKulturforum WeimarNOLONG„Being Faust – Enter Mephisto