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Artists at Risk: „Umso mehr Ärger wir machen, um so ernster nehmen sie uns.“

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AR Symposium © Perpetuum Mobile

„Meine Stimme ist überall“. Issa Touma ist viel unterwegs. Berlin ist bereits seine 85. Station in Europa. Gewählt hat der syrische Künstler und Filmemacher das Nomadenleben allerdings nicht. Gemeinsam mit anderen Stipendiaten der finnischen Organisation Artists at Risk (AR), die politisch verfolgte Künstler unterstützt, sprach er am Montag im Felleshus der Nordischen Botschaften in Berlin über seine Erfahrungen.

Wichtig sei ihm vor allem, den Kontakt zu seiner Heimatstadt Aleppo nicht zu verlieren, betont der Künstler, der 2014 die AR Safe Haven Residency in Helsinki innehatte. Da Issa Touma sich an der Einseitigkeit der Medienberichterstattung über den Syrienkrieg stört, machte er sich daran, dieses Bild aufzubrechen, zu differenzieren. So reist er – oft unter immenser Gefahr – immer wieder in seine Heimatstadt, um dort das Leben der Menschen zwischen Krieg und Alltag, zwischen Verzweiflung und Hoffnung zu filmen. Für seine einfühlsame Dokumentation „9 Days – From My Window in Aleppo“ erhielt Touma 2016 den Europäischen Filmpreis für den besten Kurzfilm. Es folgte „Greetings from Aleppo“–  ein weiterer Film ist in Arbeit.

Krieg ist tragisch und absurd

In seinen Filmen lädt der Regisseur uns in sein Viertel in Ost-Aleppo ein und lässt uns dieses durch seine Augen sehen. So lernen wir Toumas Nachbarn kennen: Abou Makhmood, den alten Mann, der Tag für Tag bedächtig die Straße kehrt, ungeachtet der Trümmer, die ihn umgeben. Oder die tanzenden Jugendlichen, die sich im Hier und Jetzt verlieren. „Krieg ist tragisch und absurd“, weiß der Künstler. Hochgradig surreal ist oft der Kampf ums Überleben. Dass die Menschen in Aleppo von der Welt nicht vergessen werden, dafür kämpft die Kamera Toumas.

„Die meisten Künstler möchten in ihre Heimat zurückkehren“ bilanzieren Marita Muukkonen und Ivor Stodolsky, die Artists at Risk 2013 in Helsinki ins Leben riefen. Die Organisation im Spannungsfeld zwischen Kunst und Menschenrechten bietet den Verfolgten ein Schengen-Visum sowie eine sichere Ausreise aus dem Heimatland, verschafft ihnen eine mehrmonatige AR-Safe Haven Residency und organisiert Projekte und Ausstellungen. Verfolgte Künstler hätten einen besonderen Arbeitsdrang, so die Beobachtung Marita Muukkonens. Und viele nutzten die Freiheit, auf die Missstände in ihren Ländern hinzuweisen und den Finger in die Wunde zu legen.

Das Internet als Schlachtfeld

Auch der sechsunddreißigjährige Tito Valery, der seit September in Finnland lebt, versteht sich als Aktivist. „Ich übernehme Verantwortung“, erklärt der Künstler und Radio-Moderator aus Kamerun. In dem frankophonen Land gehört der englischsprachigen Minderheit an, die zunehmend als „Menschen dritter Klasse“ behandelt werde.

Wie viele politische Künstler hat Valery die Neuen Medien als „Schlachtfeld“ für seine Zwecke entdeckt: „Um so mehr Trouble wir machen, um so ernster nehmen sie uns.“ Dies allerding gelinge nur in Gemeinschaft mit Gleichgesinnten, die notfalls bereit seien zu handeln – auch außerhalb des virtuellen Raums.

Delain und Damian Le Bas Gypsy Revolution

Die in England lebende Künstlerin Delaine Le Bas gehört der Volksgruppe der Roma an, der größten „ethnischen“ Minderheit in Europa, die kein eigenes Land hat, keine Nation, keine gesicherte Historie und auch keine verbindende Sprache. Selbstironisch ironisch spielt die Künstlerin, die bereits 2007 mit anderen Künstlern die Roma erstmals auf der Biennale in Venedig vertrat, in ihren Arbeiten mit den Klischees und Mythen, die sich um das „Zigeunerleben“ ranken.

Während eines Stipendiums 2012 in Finnland, zu dem sie gemeinsam mit ihrem verstorbenen Mann Damian Le Bas eingeladen worden war, entstand das Projekt „Gypsy Revolution“. In farbenfrohen Gemälden führen Delain und Damian Le Bas dabei die Stereotypen der Roma ad absurdum. Zudem weisen sie auf deren zunehmende existentielle Bedrohung hin, vor allem in Ländern wie Ungarn, Serbien oder Rumänien.

Mit nachhaltigem Erfolg sensibilisierten sie so eine breite Öffentlichkeit für die Kultur der Roma: Im April 2018 fand im Berliner Gorky Theater die vielbeachtete erste Gypsy Biennale statt.

Von der zunehmenden Einschränkung künstlerischer Freiheit in der Türkei wiederum berichteten der Istanbuler Kurator und Kunstkritiker Erden Kosova sowie der 1990 geborene Künstler Baran Çağinli. In seiner in Finnland entstanden Arbeit „New Cain I“ prangert er die Politik der westlichen Mächte gegenüber den Kurden in Kobane-Rojava, im nördlichen Irak und der „Freien Syrischen Armee“ an, die er als Verrat bewertet.

Neugegründete Martin Roth Initiative unterstützt AR

Längst haben andere Städte, Länder und Regionen das Helsinkier Modell der „Sicheren Häfen“ übernommen. Nicht nur in Finnland, auch in Berlin, Athen, Cambridge UK, Oslo, Malmö, Belgrad, in der Provence und einigen außereuropäischen Orten wartet auf verfolgte Künstler ein Refugium. Zahlreiche Partnerorganisationen unterstützen Artists at Risk bei der Arbeit, seit diesem Sommer auch die gegründete Martin Roth Initiative, eine Kooperation des Goethe-Instituts und des ifa. Neben Stipendien in Deutschland wolle die Initiative auch gezielt Projekte in den betreffenden Regionen fördern, erklärte Direktor Maik Müller. Darüber hinaus seien Recherche-Projekte zum Schutz von Künstlern sowie der Aufbau von Plattformen geplant.

Ob die durch die Artists at Risk gewonnene Öffentlichkeit den Künstlern nicht auch schaden könne, fragte eine Frau aus dem Plenum, zumal die Stipendiaten durch das Medieninteresse doch erst in den Fokus ihrer Regierungen gerieten. Auch dies treffe zu, bestätigte Tito Valery. „Macht Back-ups von Euren Arbeiten“, forderte er daher die anderen Künstler mit Nachdruck auf. „Die Kunst muss überleben“.

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