Vadim Zakharov – Die Methode „Shivas“


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Vadim Zakharov lehrt uns, wie sinnfällig und gleichermaßen hinfällig Kategorien sind. Er agiert als Sammler, Archivar, Verleger oder Kurator und doch immer als Künstler. Als Künstler stellt er jedoch nicht die unterschiedlichen Tätigkeiten als abstrahierte oder konkrete, konzeptuelle künstlerische Aktionen vor, sondern lebt all diese „Rollen“ und führt sie mit der eigenen notwendigen Konsequenz aus. Diese professionellen Tätigkeiten haben ein Gemeinsamkeit: Sie wirken vorrangig in eigenen Ordnungssystemen, die wiederum zu jeweiligen Kategorisierungen beitragen. Wie lassen sich all diese Kategorisierungen unterlaufen? Wie der Philosoph Boris Groys hervorhebt, “übernimmt Vadim Zakharov alle Arbeiten des Kunstsystems – Künstler, Kurator, Kritiker, Designer, Verleger, Biograph, Archivar, Dokumentarfilmer, Historiker und Dolmetscher -, um seine kulturelle Autonomie zu bestätigen.“ (Boris Groys, „Das Versprechen der Autonomie“, in Vadim Sakharov: 25 Jahre auf einer Seite, Tretjakow-Galerie, Moskau 2006)
Für sein Video-Archiv nutzt Vadim Zakharov die formalen Ordnungssysteme der Akte und des Ordners, gestaltet sie aber als ein animiertes System, in dem das Publikum Zeit hat, zu sehen oder seine Erfahrungen mit einer Gemeinschaft zu teilen. Das Archiv umfasst 25 Jahre Moskauer Konzeptkunst mit über 230 Filmen von Solo- und Gruppenausstellungen in Russland sowie im Ausland von 1989 bis 2014. Sein jüngstes Projekt „Artist to Artist“ begann der Künstler Vadim Zakharov mit einer Einladung an die Kunstwelt, eine unbenannte Zeichnung gestalterisch frei zu kommentieren. Die künstlerischen Reaktionen auf das Kunstwerk waren in der Ausstellung „Eine Arbeit – 35 Kommentare“ im Oktober 2016 vereint.

Premiere Artist to Artist

Im Mittelpunkt des Projektes Artist to Artist ist die Figur des Künstlers, der seine minimalen Ressourcen einsetzt, um einen Dialog zwischen Künstlern, Kunsthistorikern, Galeristen, Kuratoren, Sammlern und Menschen anderer Professionen entstehen zu lassen. Zu diesen Ressourcen gehören seine privaten Räumlichkeiten, seine freundschaftlichen und beruflichen Kontakte, sein Geld. Es geht darum, diesen Dialog durch zusätzliche Herangehensweisen zu aktivieren, bei denen der Künstler das spezifische Modell seiner eigenen Tätigkeit ausarbeitet, seine Methoden, in der Kultur aktiv zu sein, präsentiert, die Kreativität einsetzt, um aus den Routinen und Schemata der zeitgenössischen Kunst auszubrechen. Die Ausstellung Eine Arbeit – 35 Kommentare, bei der eine einzelne grafische Arbeit der Künstlerin Ireen Zielonka ausgestellt wird, ist der Startschuss für das Projekt Artist to Artist.

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Ireen Zielonka, Balanceakt, 2013

Als Organisator der Ausstellung, aber auch als Künstler, habe ich mehr als 50 unterschiedliche Leute, unabhängig von ihrem Status oder ihrem Bekanntheitsgrad, darum gebeten, einen Kommentar zu der ausgestellten Arbeit einzuschicken. Darunter waren Künstler, Kunsthistoriker, Kritiker, Kuratoren und andere, die ich persönlich kenne. Mich faszinierte die Idee, dass eine einzige Arbeit einen Dialog zwischen der jungen Künstlerin und den Besuchern entfacht. Damit eine gewisse Spannung entsteht und die Umfrage unvoreingenommen ist, habe ich den Namen der Künstlerin erst nach dem Eingang aller Kommentare bekannt gegeben. Ich selbst habe Ireen Zielonka erst zweimal getroffen. Das erste Mal, am Tag der offenen Ateliers in der Kunsthochschule Weissensee, als ich zufällig ihr Atelier besuchte, das zweite Mal, als ich sie einlud am Projekt Artist to Artist teilzunehmen.

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Ausstellung One Artwork – 35 Comments

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Die Methode Shivas

Ich trete als Sammler, Archivar, Verleger und Künstler in Erscheinung. Diese „Vielhändigkeit“ kann man als „Methode Shivas“ bezeichnen, die eine Basismethode der Moskauer Konzeptkunst ist. Praktisch alle Künstler dieser Richtung arbeiten als Literaten, Archivare, Künstler und Perfomancer zugleich. Interessanterweise ist es auch heute für die Künstler des Moskauer Konzeptualismus wichtig, trotz der neuen Zeit und der kulturell und politisch offenen Situation und trotz der zahllosen Publikationen in Russland und im Westen im halbprivaten Bereich das festzuhalten (mit acht Händen), was in den letzten dreißig Jahren erarbeitet worden ist. Und das liegt nicht nur daran, dass der Staat die Künstler seinerzeit in den Untergrund verbannte, dass sie keine Druckerpresse besaßen und auf schlechter wirtschaftlicher Grundlage arbeiten mussten.

Meine Ambitionen als Künstler halten sich mit meiner Gier als Sammler, meiner Bürokratie als Archivar und meiner Kälte als Verleger die Waage. Das Archiv, die Sammlung und der Verlag sind in meinem Fall keine Ergänzung oder Imitation eines künstlerischen Gestus’, wie es häufig vorkommt, wenn ein Künstler fiktive Publikationen, Firmen oder Museen erfindet oder eine Kulisse baut, in die er die eine oder andere Episode aus seiner Lebensgeschichte einfügt. Bei mir verhält es sich umgekehrt: Die drei Bereiche bilden eine Superrealität, in der nichts erfunden ist (außer dem Künstler Vadim Zakharov natürlich). Alles darin verhält sich wie eins zu eins: Das Archiv ist ein Archiv, und der Verlag gibt reale Bücher heraus, wenn auch in minimaler Auflage. Ja, ich integriere das Archiv und den Verlag in meine Installationen, nütze ihren Status des Anderen, um mein jeweiliges Konzept herauszuarbeiten und zu betonen, aber ich vergesse nie, dass manchmal die Geste selbst auf ihrem Hintergrund als das Andere erscheint. Hier bedarf es stets der Balance und einer Überlebensstrategie. Und genau darin sehe ich meine Sonderstellung und Eigenart: Ich weiß nicht, wer überleben wird. Ich jongliere mit gefährlichen Dingen, die bei einem Fehler alles verbrennen oder vernichten können.

Ist es nicht dieses Absurdum, das wir Kunst nennen? Und ist es nicht dieser Zirkus, bei dem wir unbedingt mitmachen wollen? Wenn ja, dann habe ich für meine Zukunft vorgesorgt. Man kann nicht alles auf einmal vernichten. Irgendwann werden entweder das Archiv oder die Sammlung oder die Publikationen oder der Künstler am Kleiderständer der Geschichte hängen.

Video-Archive, Garage Museum for Contemporary Art, Moskau, 2015
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Die Geschichte der russischen Kunst – von der russischen Avantgarde bis zur Moskauer Konzeptionellen Schule

Die Installation repräsentiert eine subjektive Klassifikation der russischen Kunst als bürokratisches Drama. Die vorliegende Arbeit parodiert alle Bemühungen bei der Klassifizierung, und doch zeigt sie gleichzeitig die Unmöglichkeit einer Existenz außerhalb der bürokratischen Sprache. Diese Installation ist keine Kunstkritiker-Analyse oder ein „Spiel in der Kunst“. Hier bilden Tatsachen und Lächerlichkeiten ein Bild, das viel realer ist, als man es aus der Kulturgeschichte kennt. Dieses Mythos-Bild ist stärker, genauer und wahrer als die Wirklichkeit, trotz der Auslassungen, Fehler, und des voreingenommenen Blick des Autors. Und natürlich ist es von geringer Bedeutung, dass die russische Kunst als Gegenstand dieser Studie genommen wurde. Jede andere Kunst hätte ihren Platz einnehmen können. Das Wichtigste ist: die Akten sind die Artefakte, die allen Kulturen gemeinsam sind, die sich in die Dimension der architektonischen Errichtung ausgebreitet haben und nur eine Bestätigung des universalen Menschenstrebens für die Utopie des ewigen Archivs sind.

Vadim Zakharov

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Weitere Informationen zu Vadim Zakharov.

Vadim Zakharov erhielt u.a. den Innovationspreis für zeitgenössische Kunst (2006) und den Kandinsky-Preises (2009). Er repräsentierte Russland auf der Biennale in Venedig 2013, 2015 hatte er eine Einzelausstellung im Garage Museum of Contemporary Art, Moskau. Er lebt in Berlin, Köln und Moskau.

Tags : Artist to ArtistGarage Museum of Contemporary ArtIreen ZielonkaRussischer PavillonVadim ZakharovVideo-Archiv russischer Konzeptkunst

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