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KSWE16 – Der Weitseher

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Foto: Goethe-Institut/Jörg Gläscher

„Der Kapitalismus in der Form, wie er besteht, ist am Ende“. Das Audimax war berstend voll, als Jeremy Rifkin am 1. Juni in der Bauhaus-Universität seine Thesen über Zustand und Aussichten der menschlichen Spezies sowie der Zivilisation westlicher Prägung vortrug. Anlässlich des vom Goethe-Institut veranstalteten Kultursymposiums über das „Teilen und Tauschen“ war der amerikanische Ökonom und Bestsellerautor nach Weimar gekommen, um einen Vortrag zum Thema: „Die Rolle des Teilens in der Dritten Revolution und die Null-Grenzkosten-Gesellschaft“ zu halten.

Noch nie sei die Kluft zwischen den Reichen und den Armen so groß gewesen, betonte er. Im Jahr 2014 hätten die 388 reichsten Personen der Welt genau so viel besessen wie ärmere Hälfte der Menschheit zusammen. „Die wohlhabendsten Menschen, deren Vermögen die Hälfte des Weltvermögens umfasst, passen alle in diesen Saal“, veranschaulichte er das Ungleichgewicht und resümierte: „Es ist dysfunktional, wie wir das Leben auf dem Planeten organisieren.“

Düstere Prognose

In sozialer, ökonomischer und ökologischer Hinsicht. Das bislang von billigen, fossilen Energieträgern wie Kohle und Öl befeuerte Industriezeitalter mündet in den Klimawandel, der unsere natürlichen Lebensgrundlagen immer mehr in Frage stellt. „Es ist nicht garantiert, dass die Menschheit noch neun bis zehn Dekaden überlebt“, warnte Rifkin. So steigere jeder Grad Celsius, um den sich die Erde erwärme, die Feuchtigkeit der Atmosphäre um sieben Prozent – und damit die Wahrscheinlichkeit von Stürmen, Springfluten und extremen Dürren.

Doch trotz des alarmierenden Szenarios ist Rifkin nicht ohne Hoffnung. Ein neues wirtschaftliches Paradigma zeichne sich bereits ab, so der Ökonom. Sowohl die EU als auch China hätten die Vision einer grünen digitalen Wirtschaft. „Uns erwartet eine dritte Revolution“, lautet Rifkins Prophezeiung. Die weltweite Vernetzung von digitaler Kommunikation, erneuerbaren Energien und effizienter Logistik ermögliche eine wachsende Produktivität – bei stetig sinkenden Grenzkosten. Darin sieht Rifkin die Chance zur Entwicklung einer neuen Wirtschaftsordnung, die er collaborative commons nennt.

Internet der Dinge

Die auf kapitalintensive Energieerzeugung setzenden Konzerne zum Beispiel würden perspektivisch abgelöst von alternativen, dezentralen Methoden der Energiegewinnung wie etwa der Solarenergie. Die Sonne, so Rifkin, scheine überall – und stelle keine Rechnungen. Die Chance, ein „globales Gehirn“ auszubilden, erkennt er im „Internet der Dinge“, in dem „intelligente“, vernetzte Geräte im Hintergrund direkt kommunizieren und den Menschen bei seinen Tätigkeiten unmerklich unterstützen – etwa in Form fahrerloser Autos, die zur Stelle sind, wo sie gebraucht werden. Oder einer Lagerlogistik, die selbsttätig die nötigen Bestellungen und Lieferprozesse auslöst. Und sei es im Kühlschrank zu Hause.

Neben dem Internet der Dinge sieht der ehemalige Berater der Europäischen Union vor allem die Sharing Economy als einen Ausweg aus der Misere unserer gegenwärtigen ökonomischen Praxis. Als Beispiel nennt er das Car Sharing, bei dem man ein Auto nur bei Bedarf nutzt und mit anderen Fahrern teilt. Die Zeiten, in denen etwa ein Seniorenpaar zwei Autos besitze, um sie einmal die Woche zu bewegen, würden nun abgelöst. Längst habe sich bei der jungen Generation ein Bewusstseinswandel vollzogen. Kinder würden zunehmend dazu erzogen, Dinge ganz selbstverständlich abzugeben, denen sie entwachsen sind. Der Trend gehe weg vom „mein“ hin zum „wir“. Teilen also als Ausweg aus der Krise?

The bigger picture

Viele der Thesen, die Rifkin in Weimar vortrug und die er seit Jahrzehnten weiterentwickelt, sind inzwischen einem breiten Publikum vertraut. Dennoch schuf seine umfassende Analyse einen faszinierenden Rahmen und Hintergrund für die weiteren Veranstaltungen des Kultursymposiums über das Teilen und Tauschen. Rifkins Synopse der großen Trends bot einen weiten Blick über den Tellerrand. Und ein willkommen klares Koordinatensystem, um die vielfältigen Symposium-Themen im „bigger picture“ zu erkennen.

Tags : dritte RevolutionGoethe-InstitutInternet der DingeJeremy RifkinKultursymposium Weimar 2016 Teilen und Tauschen