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Kulturverknüpfungen „Über den Teppich“ – eine Ausstellung in der ifa-Galerie

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Mosta Maftah: Feuer im Ozean, 1979 © mit Genehmigung des Künstlers +Thinkart, Casablancabild, Foto: Andreas Körner

Leuchtend rote Flusen sind eingebettet in blau-weiße Wellenbewegungen, die in einem tiefen Schwarz münden. Der Titel „Feuer im Ozean“ hilft, das Werk zu deuten, das dennoch in seiner abstrakt malerischen wie gleichsam haptischen Erscheinung irritiert und temperamentvoll in den Raum strebt. Der marokkanische Künstler Mostafah Maftah nennt seine Bildteppiche Farbobjekte und verweist damit von der Kunst auf das Handwerk – und umgekehrt.

Mosta Maftah neben “Feuer im Ozean”, 1979, Wolle, Seidenfäden, Baumwolle © mit Genehmigung des Künstlers + Thinkart, Casablanca

Er versteht sich als Maler und übersetzt die abstrakte Malerei in den Teppich. Das ist umso bedeutender, als das Knüpfen und Weben von Teppichen traditionell und bis heute eine typische Frauenarbeit, insbesondere in Marokko, ist. Maftah aber hat „die Techniken der Teppichweberei in seiner DNA von seiner Mutter mitbekommen“, wie er sagt, und dass diese Tradition in seiner Kunst zum Tragen kommt, begründet sich in der Zeit seines Studium an der Kunstschule von Casablanca. Hier revolutionierte eine Gruppe von Künstler_innen ab den Jahren von 1964 die Ausbildung künstlerischen Schaffens und spiegelte damit die allgemeine Stimmung des Aufbegehrens im Land. Im Zuge der Befreiung des Denkens und der künstlerischen Techniken wurde eine Webereiwerkstatt in der Kunsthochschule eingerichtet. In diesem Umfeld brach Mostafah Maftah schon früh mit akademischen Formen. In der Konsequenz sind seine Farbobjekte sogar eine Mixtur verschiedener Web- und Knüpftraditionen – die so keine Weberei zusammenbringen würde –, die zu fulminanten Form- und Farbschöpfungen werden.

Anonym, Beni Ouarain, Mittlerer Atlas, © Foto: V.Tomaschenko

Marokkanische Teppiche faszinieren und inspirieren seit Beginn des 20. Jahrhunderts europäische oder amerikanische Künstler_innen und Architekt_innen. Aufgrund des islamischen Verbots figurativer Darstellungen bestechen sie durch ausdrucksstarke Abstraktionen oder Muster mit grafischen Grundelementen wie Punkt, Linie und Fläche, die frei kombiniert werden. Die Ausstellung „Über den Teppich“ in der ifa-Galerie spürt mit textilen Werken der Moderne bis zur Gegenwart diese kulturellen Verknüpfungen zwischen Europa und Marokko genau wie die Korrelationen von Kunst und Kunsthandwerk auf.

Sheila Hicks: Gebetsteppich, 1974, Wolle © mit Genehmigung der Künstlerin und Sikkema Jenkins & Co., New York

1970 kam die amerikanische Künstlerin Sheila Hicks auf Einladung der Regierung nach Marokko. Sie war Schülerin des ehemaligen Bauhaus-Lehrers Josef Albers und, obwohl Malerin, früh von textilen Strukturen fasziniert. Ein Interesse, mit dem sie durch die Welt reiste: Südamerika, Afrika, Marokko und Indien, In jedem Land arbeitete sie mit lokalen Handwerkern und Künstler_innen zusammen. In Marokko entstand die gezeigte Serie „Gebetsteppiche“, die Formen der Architektur aufgreifen, insbesondere die typischen orientalischen Fenster- und Torbogen. Sheila Hicks emanzipiert damit den Teppich von der Dekoration der Architektur und kehrt eine andere Tradition um: Die Mosaikmuster der Teppiche dienten den Architekten durchaus als Vorbild und Inspiration für ihre non-figurative Ornamentik in Stein und Holz.

Sheila Hicks: Gebetsteppich, 1972, Wolle © mit Genehmigung der Künstlerin und Demisch Danant

An der Wand nun erweitern die „Gebetsteppiche“ den Raum, werden selbst zum architektonischem Element und holen die architektonischen Formen zurück in die Ornamentik. Dabei zeigen sie eine eigene imposante Präsenz zur Architektur – wie auch im Galerieraum. Sheila Hick bildet den Mittelpunkt der Ausstellung „Über den Teppich“, die von Salma Lahlou, Mouna Mekour und Alya Sebti kuratiert wurde. Die heute fast 83-jährige Künstlerin war lange Zeit vergessen, bis sie in den letzten Jahren mehrere internationale Einzelausstellungen hatte. Ab Mai werden ihre Werke in der Ausstellung „Arte Viva Arte“ der Biennale in Venedig zu sehen sein.

Ausstellungsansticht: Anni Albers, Schwarz Weiß Grau, 1927, Gunta Stölzl, Entwurf mit Doppelgewebe, 1926, ©ifa-Galerie Foto V.Tomaschenko

Die Web- und Knüpftraditionen insbesondere der marokkanischen Zemmour- und Beni Ouarain-Teppiche mit ihren reduzierten Farben oder geometrischen Mustern, von denen nie eins dem anderen gleicht, faszinierten die Bauhaus Künstler_innen, aber auch Architekten wie Le Corbusier oder Alva Aalto. Der „schwarz-weiß-graue“ Wandteppich (1927) von Anni Albers, das „Doppelgewebe“ (1926) von Gunta Stölzl und der expressionistisch wirkende Wandteppich (1919) von Rudolf Lutz bezeugen in der Ausstellung den Einfluss auf die Künstler_innen und lassen durch originale Exemplare diese Faszination durchaus nachvollziehen. Umgekehrt flossen abstrakte Formen und Ideen einer interdisziplinären und ideologiebefreiten Kunst insbesondere nach dem Modell des Bauhauses in die Lehre der Kunstschule von Casablanca ein und beeinflussten die marokkanischen Künstler_innen seit Mitte der 1960er bis in die 70er Jahren.

AAmina Agueznay, Draa ala draa, Variationen über ein menchar, 2016, © die Künstlerin, Foto: comusterer

Eine junge Generation von Künstler_innen verbindet die marokkanischen Webtraditionen mit zeitgenössischen Sichtweisen und stellt dabei die Kooperation wie Kommunikation in den Mittelpunkt der Schaffensprozesse ihrer Werke. Die marokkanische Künstlerin Amina Agueznay tritt unmittelbar das Erbe von Sheila Hicks an. Sie arbeitet ebenfalls mit lokalen Weberinnen und bezieht traditionelle Muster in ihre Werke ein. Dabei liegt ihr Fokus auf dem tradierten Motiv der Zickzacklinie, das sie meditativ durchkomponiert, bis sie es durch ein kleines „Gegenmuster“ unterbricht. Sie geht sogar so weit, das gesamte Motiv vom eigentlichen Teppich zu lösen, so dass die reduzierte Geometrie wie ein Gerippe stehenbleibt und sich doch als Gitterstruktur wieder verdichtet.

Um mathematische Geometrie geht es ebenso bei dem Teppich von Saâdane Afif, der Resultat seiner Performance während der 5. Biennale von Marrakesch ist: Jeden Abend gab der Künstler eine Mathematiklektion auf dem zentralen Platz Jemaa el Fna. Die Handwerker in Marokko wenden in ihrer Arbeit stets die Lehren der Mathematik an, gingen aber nie zur Schule, um sie zu lernen. Ihr Wissen folgt dem Tun und aus der Erfahrung. „Die Geometriestunde“ realisierte Saâdane Afif zusammen mit einem marokkanischen Webmeister nach einer Aufzeichnung einer Lektion – so ist der Teppich Resultat eines Austauschs von Erfahrung und Wissen.

Ausstellungsansicht: Saâdane Afif, Die Geometriestunde, 2015; Yto Barrad, Ohne Titel, 2014 © mit Genehmigung der Künstler, Foto: comusterer

Die in Paris geborene Künstlerin Yto Barradas erkundet, analysiert und konzentriert sich in ihrem Wandteppich auf die Stadt Tangar. Das Erlernen und Aneignen von Kenntnissen und Techniken ist eine ihrer Prämissen der künstlerischen Praxis. So arbeitete sie in einem Workshop mit Weberinnen der Weberei Darna (gegründet 1995 in Tanger) zusammen und ließ sich für die traditionelle marokkanische Webtechnik inhaltlich von der Künstlerin Sophie Taeuber-Arp inspirieren. Die Kunstgeschichte der Moderne findet hier eine Übersetzung durch traditionelles Kunsthandwerk unter der Regie der Gegenwart. Das komplexe Thema des kulturellen Erbes wird dabei mit übersetzt, kann entschlüsselt und verständlicher werden.

Amina Agueznay: Draa ala draa, Variationen über ein Menchar Motiv, 2016; © Amina Agueznay, Foto: comusterer

„Über den Teppich“ zeigt medial fokussiert die feinen Verbindungslinien vom kulturellen Austausch zwischen Marokko und Europa. Die Ausstellung animiert durch ihren zurückgenommenen Ansatz und mit den unterschiedlich angesprochenen Aspekten zu weiteren Forschungen und öffnet dabei Denkräume. Unmissverständlich wird dabei deutlich, dass lokale Traditionen gerade im Austausch und in der Übersetzung mit einer (fremden) Gegenwart lebendig bleiben, tradiert und so wieder zurückgeführt werden – und nicht durch Abschottung und Ausgrenzung, wie es heute viel zu oft proklamiert wird.

 

Über den Teppich
Teilnehmende Künstler_innen: Sheila Hicks, Mohammed Melehi, Amina Agueznay, Yto Barrada, Saâdane Afif, Taysir Batniji, Mostafa Maftah, Anni Albers, Ida Kerkovius, Rudolf Lutz, Gunta Stölzl. Anonyme marokkanische Meister.

ifa-Galerie Berlin
Linienstraße 139/140
10115 Berlin

Noch zu sehen bis zum 12.03.2017.

Mehr Infos unter ifa – Institut für Auslandsbeziehungen

 

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