close

Ich möchte die Welt ein wenig besser machen – ein Interview mit Yulia Belousova

_MG_0555
Yulia Belousova, Ephemeral Dinner 2015, © Foto: Boris Belousov

Yulia Belousova ist freie Kuratorin, pendelt zwischen Berlin und Moskau und persifliert in ihren partizipatorischen Ausstellungskonzepten den Kunstmarkt. Sie studierte Medien und Kunst in Hamburg und Neapel. Trotz der nicht so einfachen Visa-Bestimmungen für Russ_innen folgten Stationen in Hamburg, Berlin, Mailand und Paris, wo sie vielfältige Erfahrungen im Kunstbetrieb,  in der Künstler-Recherche, im Projektmanagement, als Produktionsassistentin im Film und als Galerie-Assistentin machte. Mit 22 Jahren startete sie ihr erstes selbstständiges Projekt und gründete 2015 Ephemeral Dinner – eine intime Fusion zweier Genussfreuden, nämlich des Sehens und des Schmeckens.

Was ist Ephemeral Dinner? Welche Idee steckt dahinter?

Ephemeral Dinner 2015, © Foto: Boris Belousov

Ephemeral Dinner ist ein Ausstellungsformat, das Menschen durch Kunst und Essen zusammenbringt. Ziel der Ausstellung ist zum einen, junge Künstler_innen zu fördern und zum anderem, einen Dialog zwischen unterschiedlichen Künstler-Generationen zu initiierten – und damit die Tradition des mentoring zu reinkarnieren. Für eine Nacht, eine bewusste Anspielung auf die Schnelllebigkeit des Kunstmarktes, zeigt der/die junge Künstler_in neueste Arbeiten an einem Ort, an dem er/sie zudem mit dem/der arrivierten Künstler_in ein Dinner für etwa 20 bis 30 geladene Gäste kocht. So entsteht eine Ausstellungspräsentation, bei der das Essen Medium, Bindeglied und Metapher zum künstlerischen Schaffen ist.

Der/die „etablierte” Künstler_in bekommt die Rolle des Mentors und gibt die eigenen Erfahrungen an die jüngere Generation zurück. Der Ort, die Stadt und das Land wechseln für jede Ausstellung und richten sich nach den Werkanforderungen der/s jungen Künstlers_in, der/die den Raum bespielt.

Was reizt dich so an der Verbindung von Essen und Kunst?

Yulia Belousova, ©Foto: Rasmus Bell

Essen ist einer der wichtigsten Prozesse unseres Lebens (ich zähle das Trinken dazu) – die wichtigsten Entscheidungen und Lebensereignisse werden mit einer Mahlzeit gefeiert und so geteilt, Essen ist Gemeinschaft. Ich verfolge schon lange Kunstrichtungen wie Relational Art („Rationale Ästhetik“) und Eat Art, mich interessieren diese partizipativen Praktiken besonders und mich faszinieren die Ideen von Joseph Beuys, die Dadaisten und generell die Kunst der 1960er Jahre. Ich mache im Prinzip nichts Neues, denn das Neue ist das vergessene Alte. Filippo Tomasso Marinetti hat 1930 das Manifest „La cucina futurista“ proklamiert, Daniel Spoerri hat gekocht und sogar Kochbücher geschrieben, Gordon Matta-Clark besaß das Restaurant „Food“ in New York und Rikrit Tiravanija verwöhnte seine Ausstellungsbesucher im New Yorker MoMA mit thailändischer Suppe. Ich kombiniere die bereits existierenden Ideen in einem aktuellen Konzept, das die Tradition der Französischen Salons und des Mentoring reinkarniert. Für mich zählt die Idee und der Versuch, die Grenzen aufzuschieben und dem passiven Rezipienten eine aktive Rolle zu geben.

Fausta Squatritti, Ephemeral Dinner Mailand, 2016, ©my credit

Das Kochen ist dem Prozess des künstlerischen Schaffens ähnlich: Jeder kann eine Leinwand und Farben kaufen, jeder kann bestimmte Lebensmittel nach einem Rezept zu einer Speise verwandeln. Doch das Ergebnis ist in beiden Fällen bei jedem anders. Ich stelle eine Hypothese auf, die aus mehreren kleineren Aussagen besteht und Ephemeral Dinner ist das Experiment dazu. Wenn das Kochen schiefgeht, ist es eben auch ein Teil dessen.

Das Scheitern gehört bei partizipativen Projekten ja durchaus dazu. Inwieweit findet bei diesem Ausstellungsformat tatsächlich Partizipation statt oder anders gefragt, wer partizipiert woran?

Isa Genzken, Ephemeral Dinner, Berlin 2015 ©Foto: Boris Belousov

Allein das Dabeisein ist in diesem Kunstformat schon Partizipation, durch die Teilnahme an dem Dinner, den Dialog mit den Künstlern, das Weiterreichen der Teller – wir haben mit Absicht keine Kellner, genau wie Zuhause. Der/die etablierte Künstler_in partizipiert an der Karriere des jungen Künstlers dadurch, dass er/sie die Veranstaltung unterstützt und gewissermaßen etwas an die jüngere Generation weitergibt – ich nenne das lieber Mentoring. Und umgekehrt partizipiert die jüngere Künstlergeneration am Status des „Mentors“. Ohne die Partizipation würde Ephemeral Dinner nicht existieren – ich frage nach einer Location, die uns „gesponsert“ wird, wenn der BesitzerIn das Konzept gut findet. Die Künstler vertrauen mir und ich vertraue den Kochkünsten der beiden ohne zu wissen, wie es am Ende schmeckt. Ohne die Gäste gäbe es auch kein Dinner. Jeder trägt einen kleinen Teil dazu bei und jeder partizipiert an diesem Dazu-Beitragen.

Und wenn die Künstler_innen nicht kochen können oder wollen?

Ephemeral Dinner, Mailand 2016, ©my credit

Ob die Künstler wirklich gut kochen können ist dabei nebensächlich. Ich wähle beide Künstler_innen nach ihren Werken aus und habe keine Vorstellung von den Kochfähigkeiten der beiden. Mir ist es wichtig, dass einer der Akteure die Möglichkeit bekommt, seine Arbeiten zu zeigen und zusammen mit dem „Mentor“ einen Dialog, einen Austausch beginnt, der im Prozess des Kochens sowie der Menü- und Ausstellungsvorbereitung zustande kommt. Die beiden Künstler_innen sind frei in der Entscheidung, was und wie sie kochen. Sie könnten theoretisch auch Pizza bestellen oder Popcorn zu einer Videoarbeit servieren.

Hast du bestimmte Kriterien, nach denen du die Künstler_innen für Ephemeral Dinner auswählst?

Das Talent spielt die entscheidende Rolle, man muss etwas spüren, muss bewegt werden. Selbstverständlich, sind das subjektive Kriterien, aber nach vielen Erfahrungen und Tätigkeiten im Kunstgeschäft bekommt man ein Gespür dafür. Als Kunsthistorikerin habe ich zudem den theoretischen Hintergrund, die Arbeitsweise der Künstler_innen einzuschätzen. Formal ist es mir wichtig, dass die Künstler_innen noch keine Unterstützung seitens einer Galerie haben – denn dann ist die Aufgabe der Förderung bereits erfüllt. Ich setze mich für diejenigen ein, die es brauchen. Ephemeral Dinner sieht sein Ziel darin, jungen Künstler_innen ein „Sprungbrett“ zu bieten.

Wer wird zum Dinner eingeladen? Auf der Website steht „ You are invited because we like you.“. Wie mag man jemanden, den du/ihr gar nicht kennt?

Dmitri Gutov, Ephemeral Dinner, Moskau 2017

Die Gäste werden von den teilnehmenden Akteuren und mir zusammen eingeladen, ein Kreis von Freunden und Freunden von Freunden. Es reicht aber tatsächlich, eine Email zu schreiben, dass man gerne an Ephemeral Dinner teilnehmen möchte. Allerdings erwarte ich vorher doch eine minimale Beteiligung, die Leute sollen sich das Konzept durchlesen und erst dann sagen, „ok, das klingt spannend, ich möchte dabei sein“. Ich habe keine Fotos der Veranstaltungen auf der Webseite, um kein name-dropping zu betreiben. Ich möchte, dass man aus Neugierde kommt und versuche, bei jedem Dinner eine bunte Mischung von Gästen zu haben: sozial, beruflich, altersbedingt, geschlechtlich. Man wird eingeladen, weil man „nett“ ist und nicht aus einer gesellschaftlichen Position heraus. Mein Ziel ist, eine kleine „Familie“ innerhalb der Kunstwelt zu kreieren und das Gefühl zu vermitteln, als wäre man bei einem guten Freund zu Hause.

Das Besondere am Ephemeral Dinner ist, dass es zweckfrei ist, wie auch die Kunst zweckfrei ist – und jedes Ephemeral Dinner ist für mich ein (lebendiges) Kunstwerk an sich. Ich möchte etwas bewegen und neue Zielgruppen auf den Geschmack bringen mit der Chance, mal mit einem „Star“-Künstler zu dinieren. Die spannende Frage ist: Wird man sich in zehn Jahren an den Namen des jungen oder etablierten Künstlers erinnern?

A Gallery is A Supermarket, 2016, Foto: comusterer

Ein andere Ausstellung von dir „A Gallery is A Supermarket“ persifliert den Kunstmarkt, indem Künstler_innen von ihnen ausgewählte Alltagsgegenstände zum Verkauf anbieten – ein stilisierter Flohmarkt. Das erinnert schnell an Duchamp genau wie an das künstlerische Selbstverständnis seit der Renaissance, aber auch an Autorenschaft und Vermarktung (namedropping) von Künstler_innen. Worum geht es dir mit diesem Konzept und was möchtest du damit erreichen?

Die Ausstellung „A Gallery is A Supermarket“ fand in der Wohnung des Künstlers Vadim Zakharov in Berlin im Dezember 2016 statt. Ich hatte ein „demokratisches“ Konzept entwickelt und alle befreundeten Künstler_innen und ihre Freund_innen eingeladen, bis zu drei Objekte abzugeben, um sie für einen Preis von 5 bis 100 Euro an einem Abend zu verkaufen. Die Objekte wurden auf simplen Regalen wie in einem Supermarkt platziert, ohne den Namen des Besitzers zu nennen und mit Preisangaben nach dem Zufallsprinzip.

Kasse, A Gallery is A Supermarket, 2016, Foto: comusterer

Erst nachdem der Besucher ein Objekt gekauft hat, bekam er ein Nicht-Zertifikat, dass es sich hier um Kein-Kunstwerk handele, und mit dem Namen des vorherigen Besitzers. Es war eine lustige Ausstellungsaktion oder besser „Nicht-Ausstellung“, mit der ich in subtiler Form zeigen wollte, dass wir unserem eigenen Geschmack nicht mehr vertrauen und Kunstwerke kaufen (möchten), nur weil wir den Namen kennen. Unter den 30 Künstler_innen, die teilgenommen haben, waren auch sehr bekannte. Wollte man gerne ein Objekt eines/r bestimmten Künstler_in haben, entpuppte sich das als ein Lotteriespiel. Branding ist ja das A und O im Kunstmarkt, doch im Endeffekt ist es viel schöner etwas zu kaufen, was einem wirklich gefällt und im Nachhinein überrascht zu werden.

A Gallery is A Supermarket, 2016, Foto: comusterer

Von den eingenommenen Geldern aus dem „Supermarket“ haben alle Teilnehmer_innen gemeinsam ein Essen organisiert. Die meisten Künstler_innen heute sind Einzelkämpfer, umgeben von Konkurrent_innen, gemeinsame Manifeste werden kaum mehr geschrieben. Ich bin überzeugt, dass man Gleichgesinnte braucht, um seine Ziele zu realisieren und meine Erfahrung ist, dass sich die Künstler_innen sehr freuen, wenn sie jemand zusammenbringt. Mit „The Gallery is A Supermarket“ möchte ich Fragen aufwerfen und den gegenwärtigen Kunstmarkt reflektieren. Was ist die Funktion der Galerie heutzutage? Sammler? Branding? Ego? Rob Pruitt Fleamarket, Daniel Spoerri … Ich möchte eine Message geben und zum Nachdenken anregen. Ich möchte gern die Welt zumindest ein wenig besser machen.

Weitere Informationen zu Ephemeral Dinner

Tags : A Gallery is A SupermarketEat ArtEphemeral DinnerKunst und EssenRelational ArtVadim ZakharovYulia Belousova