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Miteinander kultivieren – Gemeinschaftsgärten in Mailand

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©Fotos: Andreas Kipar

Erst ist da dieser Geruch von Rosmarin und Lavendel, vermischt mit dem zarten Parfüm von Rosen. Riesige Zitronenmelisse-Büschel überwuchern die hölzerne Randfassung eines Hochbeetes. Zwei Mütter mit ihren Kindern ernten Zucchini, Tomaten, Auberginen und Salate, rupfen Unkraut, harken die Beete. Im Schatten der Eiben laden Tische und Bänke zum Verweilen ein. Soweit kein verwunderlicher Anblick, läge der „Orto“, wie Italiener ihre Schrebergärten nennen, nicht mitten im Herzen von Mailand, in der Via Marco dei Marchi. Eine grüne Idylle also dort, wo sonst grauer Beton und elegante Großstädter das Gesicht des Viertels prägen.

09_glaubensgartenDer Landschaftsarchitekt Andreas Kipar ist Initiator des „Orto della Fede“, des im Mai 2011 eingeweihten „Glaubensgartens“, auf dem Grundstück der evangelischen Gemeinde Mailands. Zuvor kümmerte die Fläche vor der im neugotisch-lombardischen Stil errichteten Kirche vor sich her, diente als ein Parkplatz.

Jenseits von Blümchenrabatten

Kipar, der Büros in Mailand und Duisburg unterhält, war klar, dass eine Verschönerung vonnöten war, die sich nicht in den üblichen Blümchenrabatten erschöpft. Stattdessen bat der für seine unkonventionellen Ansätze bekannte Architekt die Initiative „Orticulara Urbana“ um Hilfestellung. Auch die Generalkonsuln aus Deutschland und der Schweiz sowie engagierte Gemeindemitglieder unterstützten das Projekt.

Von vornherein stand der partizipatorische Gedanke im Vordergrund. Zunächst ließen Kipar und seine Mitstreiter die kranken Kastanienbäume vom Grundstück entfernen und neue Erde aufschütten. In Samstagarbeit erbauten Familien acht Hochbeete, die inzwischen von den Gemeindemitgliedern und Kindern der Deutschen und Schweizer Schule gepflegt werden. Dabei ist das Beet der Schweizer Schule noch etwas akkurater kultiviert als das der Deutschen…

Campen im Glaubensgarten

Als Ort der Begegnung soll der Orto della Fede jedermann offen stehen. So fand anlässlich der Expo 2015 hier ein interkonfessionelles Expo-Camp für junge Leute aus aller Welt statt.

Das Projekt entspricht dem Trend des „Urban Gardening“ und der „Gemeinschaftsgärten“, der auch längst Mailand erreicht hat. Diese Offenheit bestand nicht immer so, erinnert sich Kipar; „Als ich vor mehr als dreißig Jahren nach Mailand kam, war das Wort Gärtnern ein Schimpfwort. Man empfahl mir, mich als Landschaftsarchitekt zu präsentieren und nicht zu erwähnen, dass ich auch gerne gärtnere. Heute ist das Gärtnern auch in Mailand angekommen, ist inzwischen Mode.“

Stadtverwaltung und Bürger ziehen an einem Strang

orto-fede-milano-300x225Auch die Stadtverwaltung habe in den letzten dreißig Jahren viel getan, um Mailand grüner werden zu lassen. Unter der Stadträtin Chiara Bisconti setzte sie erstmals auf die Partizipation der Bürger bei der Kultivierung und Pflege von Grünflächen und entwickelte einen Grünordnungsplan. Damit greift die offizielle Stadtplanung auf, was sich seit Jahren in einer Graswurzelbewegung „von unten“ entwickelt. Engagierte Bürger besetzen die letzten Freiflächen und richten dort Gemeinschaftsgärten ein. Das hat nicht nur stadtökologische Auswirkungen. Es entstehen auch „soziale Labore“, in denen die Bewohner eigene Formen der Kollaboration entwickeln.

Das funktioniert nach dem Prinzip der Selbstorganisation: „Do it yourself – and do it together“. So auch im Garten „Isola Pepe Verde“, der in unmittelbarerer Nähe des „Bosco Verticale“ liegt. Der Architekt Stefano Boeri ließ mit dem exklusiven Hochhaus einen „Vertikalen Wald“ entstehen: Auf jedem Balkon wachsen Bäume. Für das Projekt musste ein beliebter Park weichen. Sehr zum Ärger der Anwohner, die sich 2013 zusammenschlossen und vis à vis mit der Isola Pepe Verde einen Garten auf Zeit einrichteten.

05_glaubensgartenAuf ehemaligen Lagerflächen gedeihen heute Blumen und Gemüse, soweit das Auge reicht. Auf den zweiten Blick bemerkt man: Der gesamte Garten ist transportabel. Die Pflanzen sind in Kisten gepflanzt, für den Fall, dass die Fläche geräumt werden muss. Vorerst aber ernten die „Insulaner“ ihr selbstgezogenes Gemüse und kochen miteinander. Oder wie eine Aktivisten berichtet: „Man isst gemeinsam, teilt großzügig und hat dabei die besten Ideen.“

Der Giardino degli Aromi im Norden Mailands lockt gleichermaßen Familien, Schulklassen sowie Rentner an – und Patienten der psychiatrischen Zentren aus der Region: Mailands größter Gemeinschaftsgarten entstand in dem 150.000 qm großen Park des Psychiatrischen Krankenhauses Paolo Pini. Überall wird gemeinsam gesät, gegossen, geerntet, gelacht. Ein Stück Lebenskultur.

Gärtnern wird hier als Therapie eingesetzt. „Wer gut ist zu einer Pflanze, ist auch gut zu sich selbst“, erklärt Aurora Betti, eine der Initiatorinnen. Leopoldo, ursprünglich tätig in der Modebranche, bekennt: „Ich bin süchtig nach Gartenarbeit.“ Mit 40 hatte er eine schwere Krise, die ihn dazu brachte, sein altes Leben hinter sich zu lassen. Heute ist er Experte für historische Apfel- und Tomatensorten. In seinem Beet kultiviert er an die 400 Pflanzenarten.

So bahnt sich peu a peu – offiziell und inoffiziell – das Grün seinen Weg. Auch das von Kipar mitkonzipierte System der „raggi 00_glaubensgarten_inaugurazione_ufficialeverdi“, der „grünen Strahlen“, wurde in den Grünordnungsplan der Stadt Mailand aufgegriffen und ins Maßnahmen-Dossier zur EXPO 2015 aufgenommen: Von der Innenstadt aus gehen dem Konzept zufolge acht grüne Strahlen – jeder ist einem Stadtteil zugeordnet – nach außen, bis sie außerhalb des Stadtkerns auf einen grünen Ring treffen, wo ein Fuß- und Radweg in einer Gesamtlänge von 72 km Mailand umschließen soll. Innerhalb der Strahlen werden bestehende Grünflächen genutzt und mit neu angelegten verbunden – zahlreiche Radwege sind geplant. Auch die ehemaligen Industrieareale von Pirelli, Alfa Romeo und Maserati werden – teils als Grünanlagen – in die Strahlen integriert.

„System der Bypässe“

Kipar betont dabei die Bedeutung auch kleiner und kleinster Grünanlagen:  „Es ist ein offenes System, das sich an acht Strahlen festmacht, aber immer dort aktiv wird, wo sich kleine Bypässe auffinden. Auch der Glaubensgarten befindet sich in einem kleinen Bypass. Und wenn Bypässe fusionieren, dann machen sie Wege frei und schaffen unerwartete Verbindungen. Der ganze Stadtorganismus lebt so neu auf.“

Kipar zerreibt einen Rosmarinzweig zwischen seinen Fingern, während er die Perspektive eines neuen grünen Mailands malt. Ein vielversprechender Duft breitet sich dabei aus.

Tags : Andreas KiparAurora BettiChiara BiscontiGiardino degli AromiMailandOrticulara UrbanaOrto della FedeUrban Gardening