KSWE16 – Ökonomie ohne Geld


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Soziale Währungen, neue Ökonomien, Selbstverwaltung, Bürgerwährung und auch Respekt waren einige der wiederkehrenden Schlagworte bei dem Roundtable zu „Kollaborative Ökonomien in Lateinamerika“ im Rahmen des Kultursymposiums Weimar 2016. Auf den Punkt brachte Adriana Benzaquen aus Argentinien ihre Kritik an den zum Symposium vorgestellten und als zukunftsweisend gelobten Projekten und Ideen zur Sharing Economy: „Das ist kein Teilen und ermöglicht keine Teilhabe für alle.“

Sie widersprach damit explizit den Ausführungen und Visionen von Jeremy Rifkin. Den Zugang, den die Sharing Economy an die Ökonomien biete, sei lange nicht ausreichend. Arme Leute, die noch immer in Lateinamerika die Majorität bildeten, hätten auch in einer Sharing Economy keine Teilhabe und somit keinen Zugang zu alltäglichen Wirtschaftsgütern, denn sie könnten sich die Dinge einfach nicht leisten. Ihr Geld oder Einkommen werde auch durch eine Sharing Economy nicht mehr. „Die Sharing Economy ist nur eine Tochter des Kapitalismus“, sagt sie, besser immerhin als der Vater, aber noch lange nicht gut. Es bedürfe einer anderen Form des Teilens, eines Teilens ohne Geld. So arbeite man bei der Organisation „Minka“ vollkommen ohne Geld und teile stattdessen untereinander das, was jeder brauche. Teilen führe hier zu einer anderer Lebensform.

Gesellschaft ohne Geld

Adriana Benzaquen ist Mitglied des „Culture Network“ und Gründerin von „Minka“, der ersten Datenbank zur Vernetzung von Organisationen in Lateinamerika. Sie gründete die Organisation „Cultura Senda“, die sich der Förderung der kollaborativen Kultur in Argentinien, Venezuela und anderen Ländern verschrieben hat. Mit ihr auch Ricardo Orzi, Professor an der Universidad Nacional de Luján (UNLu) in Argentinien, in der Runde. Nach einem Wirtschaftsstudium studierte er Alternative Economics an der UNGS und führt seit 2005 Studien über alternative Währungssysteme und Solidaritätsmärkte in Argentinien, Lateinamerika und Europa durch. Zwei Bücher sind von ihm erschienen, das jüngste mit dem Titel „Moneda Social y Mercados Solidarios II: La Moneda social como lazo social“. Zudem gehört Ricardo Orzi dem Wissenschaftsausschuss des Magazins „Prologues“ und dem lateinamerikanischen Netzwerk von Forschern in der Sozial- und Solidarwirtschaft (RILESS) an. Er berichtete von den zahlreichen Bewegungen in Argentinien und Venezuela, die sich vom Finanzmarkt ausgeschlossen und stattdessen eine soziale Währung haben. Ein Plädoyer für eine Bürgerwährung, die so eine neue Bürgerschaft generiere und demzufolge eine neue Politik für eine neue Ökonomie. Immerhin 5000 alternative Währungen gibt es mittlerweile weltweit, die sich insbesondere nach den Finanzkrisen in Lateinamerika und Europa etablierten.

Joel Grigolo aus Brasilien beschrieb die sozialen Bewegungen der Solidar-Ökonomien, die sich gegen den Kapitalismus stellen und die alternative Forderung formulieren: Nicht Wettbewerb, sondern Kooperation sei die Zukunft. Beim Thema Teilen ginge es vorrangig um das Teilen der Kultur, dies sei aber erst die Folge, denn viel wichtiger sei das soziale Teilen und damit der gegenseitige Respekt: Respekt für Geschlecht, Ethnie und die jeweils andere Historie. Er mahnte zudem an, Teilen hieße nicht, dass, was einer zu viel habe, das teile er. Im Gegenteil impliziere Teilen die Frage: Was braucht der andere? So teilen wir dies.

Joel Grigolo beteiligte sich u.a. an solidarwirtschaftlichen Projekten zur Einkommensförderung für sozial gefährdete Frauen aus entlegenen Bereichen. Im Jahr 2000 übernahm er bei der Stadtverwaltung von Porto Alegre den Posten als Verantwortlicher für die öffentliche Politik zur Einkommensförderung und ist zudem Mitglied des Kulturvereins “Vila Flores”, der sich mit alternativen Formen der Arbeitsplatz- und Einkommensschaffung für Kreativvorhaben beschäftigt. So auch für die Schaffung einer alternativen Währung zur Stärkung der Netzwerke in der Kreativwirtschaft. Seit 2013 gehört er zu den Matehackers.

Der Wunsch nach Mitbestimmung

Die Gesprächsteilnehmer waren sich einig, dass eine Vergütungsgesellschaft nicht mehr die Lösung für die Gesellschaft der Zukunft sein könne und wir über einen anderen Weg von Ökonomie nachdenken müssten. „Es müsse eine andere Form von Leben neben dem derzeitigen Status geben“, so Ricardo Orzi. Praktisch ist dieser Weg schwer vorzustellen und man ertappt sich selbst, wie festgefahren die bekannten und gelebten ökonomischen Weltmodelle im eigenen Kopf verankert sind. Dass Teilen nicht als soziale Leistung in Zeiten der Not, sondern als ein alltäglicher Habitus begriffen werde, wäre hier ein Anfang. Ein Anfang, den jede/r für sich gestalten könne. Die Solidargemeinschaften in Lateinamerika wie Europa wüchsen enorm und das dringende Bedürfnis nach Mitbestimmung ziehe sich durch alle Gesellschaftsschichten, wie die politische Lage in Brasilien gerade vor Augen führe. Ricardo Orzi fasste zusammen, dass wir nicht individuell denken könnten, denn wir machen die Politik. Demokratie hieße, gemeinsam zu entscheiden, auch über die Geldausgaben und Geldvergaben über einen bestimmten Zeitraum, ergänzte Joel Grigolo.

Adriana Benzaquen stellte abschließend fest, dass der Zugang allein keine Gleichheit garantiere und bemerkte treffend, dass bei dem Kultursymposium bisher keine Krisen besprochen wurden. Eine Erinnerung, die einen wunden Punkt trifft und zur Reflexion über den eigenen Standpunkt im globalen Kontext aufruft. Visionen sind eben einfacher zu beschreiben als Krisen und können sich der einstweiligen Affirmation sicher sein.

Weitere Informationen zur Veranstaltung und zum Kultursymposium Weimar 2016.

Tags : Adriana BenzaquenJoel GrigoloKollaborative OkönomienKultursymposium 2016 Weimar Teilen und TauschenLateinamerikaMinkaRicardo Orzi

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