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Den Sternenhimmel lesen – von Oswald Auer

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Alle Menschen teilen denselben Sternenhimmel, doch sehen sie ihn ganz unterschiedlich. Eine Sternenkonstellation, die für die San-Buschleute in Afrika einen Strauß darstellt, ist für die Aborigines in Australien ein Emu. Der österreichische Künstler Oswald Auer vergleicht diese divergierenden Benennungen mit einem Rorschachtest: „Der Nachthimmel ist wie eine Matrize, in die sich das kulturelle Bewusstsein eingräbt und die von Zeit zu Zeit und von Kultur zu Kultur variiert.“

In seinen Radierungen hält der 1970 im italienischen Bruneck/Brunico geborene Künstler, der u.a. mit dem Georg-Eisler-Preis und dem Theodor-Körner-Preis ausgezeichnet wurde, den Sternenhimmel fest. Um einen sinnlichen Farbeindruck zu erzielen, verwendet er eine aufwändige Technik, mit der er mechanisch direkt auf der Metallplatte arbeitet. „Das ist ein sehr langsamer, wenn man will, entschleunigter Prozess“, erklärt der Künstler. „Aber ein Bild ist immer ein Ort, an dem die Zeit stillsteht“.

Durch die aufgeraute Oberfläche auf dem Druckstock erzeugt Oswald einen haptisch anmutenden Farbeindruck, eine „Impression, wie bei einem Stück Samtstoff“. Beeinflusst habe ihn vor allem ein Gedicht von Majakowski, in dem der Dichter die Sterne mit von Lanzen in den Himmel gestochenen Löchern vergleicht, durch die das Licht hindurchflutet. So resultieren auch die Tupfen auf Oswalds Bildern, die das Sternbild darstellen, von Löchern, die er durch die Platte gebohrt hat. Das weiße Papier, auf dem das Bild gedruckt ist, kommt an diesen Punkten durch, und der Raum, der das Bild umgibt, gibt diesem Ordnung und Bedeutung.

Sternbilder – Gedankengänge zu den Bildern und Geschichten der Kultur

Die Sterne, die uns umgeben, sind immer da. Die Himmelskörper werden allerdings bei Tag durch das Licht der Sonne überstrahlt.Sterne sind alle Sonnen. In der Sprache der Physik, die eine von vielen ist, sind diese Massen, die anders als Planeten, Licht ausstrahlen.

Zu sehen sind die Sterne aber nur in der Nacht.

An sich haben sie eine Ordnung, wie eine versehentlich verschüttete Schale Reis am Küchenboden, dass bestimmte Lichtpunkte aus dem All zu Bildern werden und nicht zu Fratzen, hängt vom Menschen ab.

Leonardo hat einmal einen nassen Schwamm an seine Atelierwand geworfen und ein Schlachtenbild mit Temperafarbe und Öl auf den Abdruck gemalt. Er hat dabei das Gemetzel festgehalten, das er darin gesehen hat.

Sternbilder sind eine Projektion, ähnlich den Klecksen des Schweizer Arztes H. Rorschach, wo sich die Persönlichkeitsstruktur des Probanden zeigt.

Die Sterne, die eine Figur bilden, liegen oft Lichtjahre voneinander entfernt, in die Tiefe versetzt, irgendwo im Nirgendwo.

Am meisten bekannt ist wohl die Sternformation des Wagens. Der Gott Dionysos hat angeblich einmal aus Dankbarkeit den Wagen eines einfachen griechischen Hirten als Bild am Himmel verewigt.

Eigentlich hat das Sternbild die Form einer Kasserolle, ohne Ansatz von Rädern, und auch sein Pendant, das wie eine merkwürdige Spiegelung in Beziehung zu ihm steht, erinnert irgendwie an eine Schöpfkelle.

Van Gogh hat 1888 in seinem Gemälde „Sternennacht über der Rhone“ genau diese Sternformation oberhalb der urbanen Straßenbeleuchtung einer südfranzösischen Kleinstadt gemalt.

Die vom Himmel tiefblau umgossenen Punkte aus Mangentagelb werfen dabei senkrechte Lichtbahnen in das bewegte Wasser.

Dieses Ensemble stellt bei den Ägyptern die Schenkel des Wüstengottes Seth dar, während die Araber zur gleichen Zeit den Kasten des Wagens als Sarg interpretierten, hinter dem drei Klagefrauen herziehen.

Der Wagen bildet aber auch bei uns einen Teil des größeren Sternbildes, Bären.

Das große Raubtier besteht aus sieben hellen Sternen des Gefährts und aus einigen weiteren, die den Kopf und die Tatzen des Tieres bilden.

Selbst in der hellenistischen Zeit wurden in die Sterne anfänglich Äpfel hineininterpretiert und erst später mit der Sage der Kallisto in Verbindung gebracht.

Die Nymphe aus dem Gefolge der Jagdgöttin Artemis wurde von Hera, nach einem Fehltritt ihres Gatten, in eine Bärin verwandelt, und anschließend von Zeus zusammen mit ihrem Sohn Arkas, der im Begriff war seine Mutter bei der Jagd zu töten, als Bild an das Firmament versetzt.

Man kann die Verbindungslinie der hinteren Wagenwand des großen Wagens verlängern und gelangt dann ziemlich genau zum Polarstern, der sich im kleinen Wagen am Ende der virtuellen Deichsel oder dem etwas zu lang geratenen Schwanz des Bären befindet.

Der Nordstern ist der hellste Stern in dem gesamten Sternsystem. Über Jahrhunderte war er eine wichtige Hilfe zur Orientierung auf dem Meer, wo es außer den Sternen am Firmament keine Anhaltspunkte gab.

Astronomisch steht der Polarstern ziemlich genau an der nördlichen Verlängerung der Erdachse.

Aufgrund der Präzessionsbewegung des Erdballs macht der Himmelsnordpol in etwa 25.700 Jahren aber selbst eine Kreisbahn.

Im Jahr 2800 vor Christus war Thuban, der Polarstern, und im Jahr 4000 wird es der arabische Hirtenstern Errai, sein, wenn man sich dann noch an ihn erinnern wird.

Der Himmel und seine Objekte sind in Bewegung, wie die Mythen und selbst die wissenschaftlichen Begriffe.

Zum kleinen Bären und großer Bären steht ein angrenzendes Sternzeichen in Beziehung, das in seiner Gestalt mit zwei Schnürchen, eigentlich an die Form eines Flugdrachens für Kinder erinnert.

Es gehört aber zu den Sternbildern, die bereits vom griechischen Gelehrten Claudius Ptolemäus beschrieben wurden.

Der Bärenhüter war in der Antike auch einmal ein einfacher Rinderhirte.

Bei der Einführung der modernen Sternbilder durch die Internationale Astronomische Union wurden zwei Sternbilder zugunsten von Bootes aufgelöst. Im Norden der Mauerquadrant und im Süden der Berg Mänalus, die es beide nicht mehr gibt.

Für prägnante Sterngruppierungen am Himmel gibt es in verschiedenen Kulturen viele Identifikationen.

Mitten in der südlichen Milchstraße befindet sich am Nachthimmel, in der Nähe des von Seefahrern so benannten Kreuz des Südens, der Kohlensack.

Er ist kein Sternbild im eigentlichen Sinne.
Die San im südlichen Afrika und die im Englischen so bezeichneten Aborigines in Australien erkennen diese Form am Nachthimmel respektive als Emu und Strauß. Jeweils ein Vogel in Afrika und Australien.

Dieser Dunkelnebel bildet ein auffälliges, wie mit einer Schablone geschnittenes Loch in die umliegende sehr dichte Sternengegend.

Das Bild wird von der Astronomie und der modernen Physik heute als eine Wolkenwand aus Gas und Staub erklärt.

Der Kohlensack ist eine Materialwolke in 2.000 Lichtjahren Entfernung, die das Licht der dahinterliegenden Sterne absorbiert.

Genau aus diesem Nebel kommt in dem 1977 erschienenen Roman „Der Splitter im Auge Gottes“ von L. Niven ein seltsames Flugobjekt. Es ist eine Science-Fiction Story über die Begegnung des Menschen mit einer anderen entwickelten Art.

Die größte Ansammlung an Lichtpunkten am Himmel sind die Plejaden. Bereits mit freiem Auge kann man sechs bis neun dieser Sterne erkennen.

Die Konstellation ist seit Jahrtausenden bekannt. Die Griechen sahen darin die sieben Töchter von Atlas und Pleione. Die Frauen wurden in der Geschichte von Orion gejagt, worauf der olympische Hauptgott selbst die Nymphen als Sternbilder an den Himmel versetzte.

Aber sogar dort noch verfolgt Orion die Frauen als wild gestikulierendes Sehnenviereck in einiger Distanz.

In Japan ist der Name für die Sterngruppierung der Plejaden „Suberu“, und auch das Markenzeichen des gleichnamigen Autoherstellers zeigt sechs Sterne in ähnlicher Anordnung auf den verchromten Kühlerhauben der Fahrzeuge, wie sechs vor zwanzigtausend Jahren über der Darstellung eines Ochsen in eine Felswand geritzte Punkte in Lascaux.

Eine strenge geometrische Erscheinung am Nachthimmel ist der Adler, der bereits bei den Sumerern als Sternbild bekannt war, so wie Altair, der leuchtende Hauptstern im Kopf des Tieres.

Die Konstellation des Symboltiers am Himmel erinnert irgendwie an den Grundriss der Stadt Brasilia, die nach Plänen von Oscar Niemeyer 1960 erbaut wurde.

Die Metropole neben dem dunklen See sieht aus der Luft nämlich aus, wie das alte Kulturtier am Nachthimmel.

Die vom Architekten gezeichneten Achsen kann man dabei realisieren wie die merkwürdigen Zeichnungen, die 1924 von Passagieren aus dem Flugzeug über der Wüste in Peru zufällig gesehen wurden.

Abbilder von Affen, Menschen und Vögeln. Allesamt Scharrbilder, die zwischen 800 und 200 vor Christus in Nazca von den Inkas in den Wüstenboden getreten wurden.

Synchron dazu reißt der Adler in der Mythologie der Griechen, dem im Kaukasusgebirge angeketteten Perseus, immer wieder ein Stück Leber aus dem Leib, weil dieser den Menschen das Feuer gebracht hatte.

Als Herakles den geknebelten Menschen sieht, schießt er den Raubvogel mit einem Pfeil ab.

Am Nachthimmel fliegt das Holzgeschoss in unmittelbarer Nähe neben dem Sternbild.

Es besteht aus vier Sternen, wobei der hellste, Sagittae die Spitze symbolisiert und den Kugelsternhaufen M 71 enthält.

Die meisten solcher Sternhaufen sind mehrere Tausende Lichtjahre entfernt und bestehen aus ebenso vielen Sternen. Heute weiß man, dass sich M 71 am Rande unserer Milchstraße befindet.

Um ein Raster für die Himmelerforschung zu schaffen, hat 1756 der Astronom N. L. Lacaille ein kleines Sternbild unter der Bezeichnung Formax Chemica eingeführt.

Von den mythologischen Sternbildern der Antike unterscheidet sich Formax durch seinen technischen Namen. Heute würde die Formation vielleicht Kernreaktor heißen.

Neben dem, ebenfalls von Abbè de La Caille am Nachthimmel eingesetzten Teleskop, ist auch der Sextant ein Spiegel der Zeit.

Er wurde 1690 vom Sternforscher Johannes Hevelius eingeführt, und symbolisiert das technische Gerät, dessen Rahmen genau ein Sechstel eines Kreises ausmacht, und zur Positionsbestimmung der Himmelskörper diente.

Ein halbes Jahrhundert davor hatte der Mönch Anton M. Schyrleus de Rheita genau in diesen Gestirnen das Schweißtuch Christi erkannt.

Die Region des Chemischen Ofens liegt abseits der Ebene unserer Milchstraße. Man hat daher einen guten Blick in die Tiefe des kosmischen Ozeans.

Der Raum zwischen der von La Caille definierten geknickten Linie ist so etwas wie die Himmelstür zum Kosmos.

Der Apparatus Chemicus enthüllt aber nur schrittweise, was in ihm steckt.

Ein Dutzend Galaxien, von denen jede aus unendlich vielen Sonnen besteht, kann man bereits mit einem einfachen Fernrohr erkennen.

Bei einem besser entwickelten Apparat tauchen immer neue Lichter auf. Jeweils weit entfernte Milchstraßen, bestehend aus unzähligen Sternen.

Zwischen 2003 und 2004 nahm das Hubble-Weltraumteleskop im sogenannten Hubble Deep Field Aufnahmen auf, die etwa 9.500 Galaxien zeigen.

In La Silla in Chile ist es 2014 Astronomen gelungen, durch diesen sprichwörtlichen Spalt am Himmel, 60 Millionen Lichtjahre in die Tiefe des Universums zu blicken.

Wie bei einem Schachspiel mit seinen Figuren, die zueinander in Beziehung stehen, gibt es zahlreiche mythologische und kulturelle Fantasiegebilde am Himmel. Ihnen allen entsprechen Geschichten.

Gleichsam einem Patt am Himmelsbrett kann man seit dem Kongress der IAU im Jahre 1922 diese Figuren aber nicht mehr bewegen.

Unsere Welt ist eine wissenschaftliche geworden. Die Bilder dienen nur noch zur Kartografierung.

 

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Oswald Auer lebt und arbeitet in Wien Er besuchte die Kunstlehranstalt in St. Ulrich in Gröden, Urtijei, Ortisei und studierte von 1990 – 96 Bildhauerei an der Universität für angewandte Kunst, Wien und Philosophie an der Universität Wien. Studienaufenthalte führten ihn nach Osteuropa und Israel. Oswald Auer arbeitet in den Medien Radierung, Zeichnung und Stein. 1997 wurde ihm der Georg Eisler Preis verliehen, 2002 der Theodor Körner Preis. Kontakt: oswald.auer@chello.at

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