Pater Georg Maria Roers SJ, seit 2013 Kultur- und Kunstbeauftragter der Erzdiözese Berlin, beschäftigt sich mit Fragen, die sich aus dem Spannungsfeld von künstlerischer Formgebung und spiritueller Suche ergeben. Sein Ziel ist es, eine Brücke zu schlagen zwischen Kunst und Kirche.
So in der Ausstellung „Prozession. Performance und die Zeit“, die bis zum 16. Mai in der Kirche St. Thomas von Aquin in der Katholischen Akademie zu besichtigen ist. Arbeiten von Joseph Beuys, Ai Weiwei und Richard Long wurden dort in den sakralen Raum integriert. Wir trafen Pater Roers zum Gespräch über das Teilen und die Teilhabe in Kunst, Kultur, Gesellschaft und Kirche.
Warum beschäftigt die Erzdiözese Berlin einen Kultur- und Kunstbeauftragten?
Sowohl in der Kunst als auch in der Religion können Menschen, deren Leben auf ein bestimmtes Ziel ausgerichtet ist, sich entfalten. Künstler/innen lassen sich von ihrer Inspiration leiten, die wir in der Tradition des Christentums in der Kraft des Heiligen Geistes ausmachen. Es ist zudem eine zentrale Rolle der Kirche, sozial Bedürftige an der Kultur teilhaben zu lassen. Das Volk auszugrenzen, ist ein klares „No-Go“.
Immer mehr Kirchen öffnen ihre Pforten für die Kunst. Warum?
Die von Alexander Ochs kuratierte Ausstellung „Du sollst dir (k)ein Bild machen“ im Berliner Dom hat im vergangenen Jahr 60.000 Besucher angelockt. Ganz offensichtlich ist ein großes Bedürfnis der Menschen nach Spiritualität vorhanden. Dabei gibt es so viele Wege zur Kunst wie zum Glauben. In den sakralen Räumen entwickeln die Werke eine ganz eigene Kraft. Viele Menschen – auch solche, die mit Kunst eher wenig zu tun haben – empfinden diese Energie. Allerdings ist ein gehöriges Maß an Empathie die Voraussetzung für den Zugang zur zeitgenössischen Kunst und Kultur.
Papst Johannes Paul II. soll Berlin als das schwierigste Bistum der Welt bezeichnet haben. Das klingt nicht gerade nach einem leichten Arbeitsfeld…
Die Zeit ist reif für eine Veränderung, denn die Kirche ist immer Teil der Gesellschaft und ein Kind ihrer Zeit. Eine Veränderung hat sicher Papst Franziskus bewirkt, der nah dran ist an den Menschen. Das funktioniert tatsächlich. Bereits mit der Fahrt nach Lampedusa am Beginn seines Pontifikats hat er klare Zeichen gesetzt. Die Welt hat sich verändert. Die sogenannte „globalisierte Welt“ – das Leid der Welt – wird uns durch die Geflüchteten ins Haus geliefert, die Attentate rücken näher. „Geteiltes Leid ist halbes Leid“, heißt es. Als Kirche und als Gesellschaft sind wir deshalb massiv gefordert.
In Berlin, wie auch in München, engagiert sich der Jesuiten-Flüchtlingsdienst für Abschiebungshäftlinge, sogenannte Geduldete und Menschen ohne Aufenthaltsstatus. Schwerpunkte der Arbeit sind die Seelsorge in der Abschiebungshaft, die Härtefallberatung und die Verfahrensberatung bei Aufenthaltsproblemen. Wir wollen Flüchtlingen und Migrantinnen und Migranten in der Öffentlichkeit eine Stimme geben und nehmen Stellung zu Entwicklungen im Ausländerrecht und in der Asylpolitik.
Wie definieren Sie das Teilen?
Das Teilen ist die Grundlage des Lebens, denn dieses beginnt bereits mit einer Zellteilung. In der Antike entwickelte Platon den Mythos des in zwei Hälften geteilten Kugelmenschen. Das Teilen ist also ein Grundprinzip, das sich auf alle möglichen Felder anwenden lässt. Aber das Wort „Teilung“ kann auch eine ambivalente Konnotation aufweisen: In Deutschland etwa haben wir genug von der Teilung, keineswegs aber in Israel, das die Palästinensergebiete nach wie vor abschottet.
Und aus einer christlichen Perspektive?
Da ist erst einmal die Frage, wie sich der Mensch die Erde mit den anderen Geschöpfen teilt. Geht er verantwortungsvoll mit der Natur und seiner Umgebung um? In der Eucharistiefeier teilen wir das Brot und den Wein, den Laib und das Blut Christi, und Christus ist dadurch leibhaftig anwesend.
Einer der beliebtesten Heiligen ist St. Martin, der einen Mantel mit dem Schwert in zwei Teile getrennt und eine Hälfte dem Bettler gegeben hat. Es sind Werke der Barmherzigkeit, die das Christentum ausmachen. So könnte der „barmherzige Samariter“, der sich eines ausgeplünderten und verletzten Mannes angenommen hat, der „Patron der Ehrenamtlichen“ sein.
Was kann jeder einzelne tun?
Ich kann nicht die ganze Welt retten, aber ich kann vor Gott etwas tun. Die Nächstenliebe ist ein hohes Ideal – aber wie geht man damit um? Man kann vorne oder hinten anfangen. Erst den Nächsten oder erst sich selbst lieben. Wir sind nicht vollkommen. Dennoch muss ich mich selber annehmen, Harmonie in mir selbst entwickeln. Menschlichkeit ist eine Möglichkeit, Schwäche zu zeigen.
Manchmal verzichte ich im Gottesdienst auf die Kollekte und fordert stattdessen auf, den Bettlern auf der Straße einen Betrag zuzustecken, damit deren Würde bewahrt bleibt. Wir brauchen ein offenes Herz. Brutale Machtausübung ist ohnedies das Gegenteil von Spiritualität. Den Besuch Obamas in Kuba hat der Vatikan aktiv mit vorbereitet, auch die Revolution in der DDR war christlich. Handlungsmaxime sollte immer sein, aufeinander zuzugehen.
Und die Rolle des Künstlers?
Sicherlich im Sinne der „sozialen Plastik“ der 60er Jahre: Kunst sollte eine gesellschaftliche Relevanz haben. Die Künstler schauen sehr genau hin. Ein Ende ist stets der Anfang von etwas Neuen. Vor allem muss der Künstler immer wieder den Finger in die Wunde legen.
Weitere Informationen zum Projekt „Sein.Antlitz.Körper„.