Es ist ein dramatischer, ja pathetischer Auftakt oben im Kuppelsaal des Centrum Judaicum. Eine Figur mit lang drapierten Kleid steht leicht nach vorn gebeugt inmitten der Rotunde, umringt von schwarzen und grauweißen Händen, die mit ihren Unterarmen wie züngelnde Flammen aus dem Boden emporwachsen. Der Kopf der Figur ist mit einer Haube verhüllt, die Unterarme fehlen. Eine unheimlich wirkende Szenerie, die viele, allzu viele Assoziationen an Gefangenschaft, Scheiterhaufen, Hinrichtungen oder Ertrinkende, aber auch an Allegorien der Synagoga oder Justitia, Madonnen- oder Venusdarstellungen hervorruft.
Die eindringliche Figurenkonstellation „Proximity of Imperfect Figures” ist von MwangiHutter. Sie wird umkreist von schwarzgrauen Papiertafeln, die zwischen den Säulen im Raum hängen. John Young zitiert, schreibt oder überschreibt hierauf mit weißer Kreide Namen und Sätze von Dietrich Bonhoeffer, Oskar Schindler und John Rabe. Drei Deutsche, die während des Nationalsozialismus Menschen vor Ermordung und Deportation retteten. Die Papiere in der nachahmenden Ästhetik der Tafeln, auf denen üblicherweise Lehren und zu Lernendes vermittelt werden, sowie der ephemere Charakter von Kreide wirken wie Notizzettel gegen das Verblassen jeglichen kulturellen Gedächtnisses. Sie erinnern an die Helden eines Alltags in Schreckensherrschaft, an individuelle Taten in einem das Individuum negierenden Systems.
Die beiden künstlerischen Positionen fungieren als Prolog in die Ausstellung The Repetition Of The Good. The Repetition Of The Bad. und transformieren den Kuppelsaal im Centrum Judaicum mit ihrer großzügigen raumbezogenen Inszenierung zu einer Krypta, einer Grabeskirche oder einer Gedenkhalle – zum Versuch eines bildlichen Äquivalent zur Dauerinstallation gegenüber im letzten Ausstellungsraum. In dem hohen Raum vor dem Fenster sind dort auf einem riesigen gespannten Rahmen die Namen der allein in Berlin ermordeten Jüdinnen und Juden zu lesen. Fast 55 000 Namen in schwarzer Schrift, in hellerer Schrift erscheinen diejenigen, die die Verfolgung im Untergrund überlebt haben oder, weil sie mit einem nichtjüdischen Partner verheiratet oder deren Kinder waren.
Zwischen Schrift und Bild, Rahmen und Rotunde inspirieren 16 KünstlerInnen über die Wiederholung des Guten und des Bösen nachzudenken. Die Ausstellung The Repetition Of The Good. The Repetition Of The Bad. möchte dabei Deutungsvorlagen anbieten ohne sie festzuschreiben und lädt das Publikum ein, an der Offenheit der Kunstwerke zu partizipieren. Schnell wird klar, wie diffus die Begrifflichkeiten sind, wie moralisch konnotiert. Bekanntermaßen ist das vermeintlich Böse oft eine Ansammlung aus Vorurteilen und Nichtwissen, das Gute oft ein Schein, unter dessen Oberfläche wiederum etwas „Böses“ lauert. Gut und Böse, eine Frage des Standorts, der „Sicht auf“, der Kultur, der Aufklärung und des Glaubens insbesondere. Gut und Böse, was ist das und wie wird es kreiert? Sind es nicht die Begriffe der Polemiker, der Fanatiker, der Despoten und Autokraten? Sie gebären Gewalt, Tod, Genozide im Namen des Guten gegen das Böse. Ein abstraktes Kategoriedenken, das leider tatsächlich seine stete und derzeit unaufhaltbare Wiederholung hat. Wie gehen KünstlerInnen damit um?
Der Eingang in die Ausstellungsräume ist durch eine Stellwand blockiert, die man rechts oder links umlaufen muss. Ein dezidierter Stop zum Innehalten mit einer zweiten Arbeit von MwangiHutter. Die Fotocollage „If“ rezitiert ein nationalsozialistisches Propagandabild, auf dem Adolf Hitler lächelnd von Frauen umringt ist. MwangiHutter sind hier selbst all die Protagonisten und fragen damit, wie ihre Beziehung wohl im Nationalsozialismus gewesen wäre. Ingrid Mwangi aus Kenia und Robert Hutter aus Deutschland verschmelzen seit 2011 zu einer Künstleridentität und setzen sich damit über nationale Identitätszuschreibungen hinweg. „Denn das Selbst“, so sagen sie, „ist nicht losgelöst von anderen zu denken.“ Die kontraststarken Tinten-Aquarelle in Schwarzweiß von Moritz Stumm möchte man als Ausschnitte gewaltvoller, bedrohender Handlungen lesen. So wie Medienbilder meist aus dem Zusammenhang gerissen sind, fokussiert der Künstler Gesten und Attitüden, lässt die Aussage aber offen. So könnte der Mann mit sehr kurzen Haaren und Bomberjacke mit der Aufschrift „Terror Worldwide“ ein Rechtsextremist sein, muss es aber nicht. Das Porträt eines mit Basecap Vermummten hingegen ließe auf einen Linksradikalen schließen, muss es aber nicht. Es sind die Bilder, nicht die gezeigten Personen, die zu solchen Schlussfolgerunen führen. Was sind die Insignien des Bösen?
Mit dem Schein und dem Sein, den Wertebegriffen und Normen spielt die Künstlerin Alice Kwade. Ihre fein säuberlich gestapelten Goldkohlebarren verweisen auf zwei wertvolle Rohstoffe, die jedoch für sich jeweils ein anderes Umfeld beschreiben. Je nach Situation kann ein Kohlebrikett Gold wert sein oder Gold Nationen in den Krieg führen. Wie kostbare Schmuckstücke hingegen sind in Vitrinen die aus Glas mundgeblasenen Leidenswerkzeuge der Passionsikonografie gelegt. Claudia Schink formt Dornenkrone, Kreuznägel oder Pfeile in diesem hochsensiblen wie ästhetischen Material, dessen Lichtdurchlässigkeit der reinen Vergeistigung über das körperliche Leid eine Form zu geben scheint. Titel wie „Rom“, „Constantinopel“, „Cluny“, „Avignon“ und „Cöln“ verweisen dabei auf historisch bedeutsame Orte des abendländischen Christentums, die auch Orte der Macht, Gewalt und des Missbrauchs waren. Junko Wada reflektiert das kulturelle Erbe und die Tradition Japans. In „48 von 100 Gedichten“ interpretiert die Künstlerin in abstrakten Gemälden auf rotem Hintergrund assoziativ die Lyriksammlung von 100 Poeten, die von Taika Fujimara aus der Heian-Periode (794-1185) zusammengetragen und zu Beginn des 19. Jahrhunderts von dem Maler Katsushika Hokusai illustriert wurde. Die kleinen abstrakten Malereien bekräftigen die Freiheit der Assoziationen – eine Gedankenfreiheit, die keiner nehmen kann. Diagonal gegenüber hängen fast unmerklich neben der großen Dauerinstallation drei kleine rechteckige Strick-Stücke. Die „Clothes for a Freezing Soul“ von Daniel Amin Zaman sind in ihrer Simplizität mit ihrem philosophischen Gedankengang anrührende, kurzweilige Leibchen für alle Seelen – ohne dabei pathetisch zu sein.
Durch die Ausstellung ziehen sich wie erratische Wegmarken an den Wänden schwarze Schilder mit weißer Aufschrift. Eine Zahl und drei Wörter darunter scheinen auf bürokratische Verfahren, Registrierungen oder Archivierungen zu verweisen. Die Inhalte machen jedoch stutzig, „89 / URKNALL / VIRUS / RELIGION“ oder „113 ORGASMUS / SÜNDENFALL / AUTONOMIE“ sind dort zu lesen. Michael Endlichers „Dramenbleche“ folgen der Logik des alphanumerischen Codes, eine Technik, die bis in die jüdische Kabbala zurückreicht und mit der aus den Quersummen der Buchstaben des Alphabets Wörter errechnet werden. Diese zufällige Kombinationen der Wörter entwirft tatsächlich kleine Dramen, voll Ironie oder Beklemmung. Eine intelligente Rechnung, die das kollektive Gedächtnis mit der Gegenwart in Beziehung setzt und dabei völlig wertfrei wie offen bleibt. Allein der Betrachter entwirft die Tragödie, oder auch nicht. Ein roter Faden in schwarz-weiß, der in bescheidener Geste wirkungsvoll die Ausstellung durchzieht.
THE REPETITION OF THE GOOD. THE REPETITION OF THE BAD.
Mit Werken von Danica Dakić, Martin Eder, Michael Endlicher, Mwangi Hutter, Alicja Kwade, Nina Kovacheva, Erik van Lieshout, Claudia Schink, Serse, Moritz Stumm, Lidwien van de Ven, Junko Wada, Uwe Wittwer, John Young, Daniel Amin Zaman + Peter Riek
Neue Synagoge Berlin – Centrum Judaicum
Oranienburger Straße 28/30
10117 Berlin
Öffnungszeiten: Mo – Fr 10 – 18 Uhr, So 10 – 19 Uhr
Ausstellung: 8. Juli bis 4. September 2016