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Queer-migrantische Gemütszustände und aktuelle Erfahrungen

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Nilbar Güreş, Rose of Sapatão, 2015, Courtesy of the Artist, RAMPA Istanbul, and Martin Janda Foto: © CHROMA Istanbul

Auf dem schwarzen Boden bleiben die Fußspuren der Besucher als helle Schmutzflecken erhalten. „So wird Migration sichtbar“, sagen die beiden Kuratoren Emre Busse und Aykan Safoğlu. Das schwarze PVC ist ein Tanzboden, mit dem der Ausstellungsraum eigens ausgelegt wurde. Er verändert subtil das Gefühl des eigenen Gehens in ein leicht gefedertes. Die Weichheit des türkischen ğ schwingt so beinahe wie von selbst in den Körper hinein, im Gegensatz zum beschwerlichen Versuch der bewussten sprachlichen Aneignung.

Ming Wong, Weiches G, 2017, Foto: comusterer

Ming Wong übt unaufhörlich beim Gesangsunterricht in Istanbul die korrekte Aussprache des ğ – „Weiches G“, wie das Klang-Stück heißt. Die Beherrschung eines nahezu perfekten ğ war für ihn notwendig, um die Rolle der bekannten türkischen Sängerin Bülent Ersoy authentisch aufzufüllen. Denn in seiner Performance „Biji Diva!“, die im Rahmen des Transit-Festivals 2011 im Haus der Kulturen der Welt gezeigt wurde, schlüpfte der Verwandlungskünstler in die Identität dieser Grande Dame, die auch in melodramatischen Filmen spielte und als Transgender-Queen für Aufsehen sorgte.

„ğ – das weiche g. Queere Formen migrieren“ heißt die erste Ausstellung in Deutschland zum Thema Queerness und Migration zwischen der Türkei und Deutschland, die im Schwulen Museum zu sehen ist. Analog dem Eintauchen Ming Wongs in andere kulturelle Identitäten verhält sich der Buchstaben ğ als „ein östlicher Laut, der in eine westliche Form schlüpft“, so die Kuratoren. Mit der Schriftreform 1928 wurde ğ in das türkische Alphabet aufgenommen und sollte den im Osmanischen vorkommenden arabischen Laut „Ghain“ entsprechen, für den es im lateinischen Alphabet kein Pendant gibt. Einzige Funktion dieses neu eingeführten, als hybride zu bezeichnenden, Buchstaben ist es, den vorherigen zu dehnen, analog dem Dehnungs-h im Deutschen. Seit dem Anwerbeabkommen von 1961 mit der Türkei migrierte das ğ nach Deutschland, ist gerade in Berlin hoher wie fester Bestandteil der Bevölkerung geworden und bleibt doch der hier am häufigsten falsch ausgesprochene Buchstabe. Auf der Metaphorik dieses sprachlichen Exkurses baut die Ausstellung auf und verdeutlicht damit nebenbei noch, wie sehr Sprache und Sprachbewusstsein innere Haltungen und Akzeptanzen prägen, aber auch ändern können.

Ayse Erkmen, Konsersationen, 1997, Foto: comusterer

Das direkte Wirken von Sprache präsentiert unaufgeregt das Video „Konversationen“ von Ayşe Erkmen. Die weißen Wortendungen auf schwarzem Untergrund der -miş-Vergangenheit kennzeichnen Erzählungen oder Berichte über Dinge, die man selbst nicht erlebt hat. Vom Hörensagen weiter Erzähltes also, das oft in einer der berüchtigten Gerüchteküchen mündet. „Konversationen“ war als Weiterführung von Erkmens bekannter Arbeit „Am Haus“ in Berlin-Kreuzberg für ein Kunstprojekt in Istanbul entstanden. Die Schrifttafeln zieren seit 1994 eine Hausfassade am Heinrichplatz in guter Nachbarschaft zum SO36, wo queere und orientalische Partys schon immer beheimatet waren und gerade die Geschichten und Gerüchte, der Tratsch und Klatsch wesentlich zur Verbreitung queerer Kultur beigetragen haben.

Yesim Akdeminz, Unter Uns, 2017, Foto: comusterer

Die von Emre Busse und Aykan Safoğlu ausgewählten 12 künstlerischen Arbeiten im Schwulen Museum* beinhalten alle Erzählungen vom transkulturellen Austausch von LSBTIQ*-Menschen zwischen Berlin und Istanbul, der Türkei und Deutschland. Sie hinterfragen dabei Stereotypen und Hetero-Normativitäten insbesondere von Männlichkeit. Yeşim Akdeniz etwa versammelt für ihre malerische Rauminstallation „Unter Uns“ auf Stühlen vor einem drapierten Vorhang eine Herrenrunde, die jedoch lediglich die Torsi mit den klassischen Dreiteilern Sakko, Hemd und Krawatte zeigt. Sofortiger Fixpunkt der quadratischen Gemälde sind die jeweiligen Taschentücher in der Brusttasche, die erotische Anspielungen auf organische Öffnungen gleich welcher Façon suggerieren.

Masist Gül präsentiert von Banu Cennetoğlu und Philippine Hoegen, 1947-2003, Foto: comusterer

Masist Gül ist vor allem als Schauspieler für seine Rollen als Kleinkrimineller, Bösewicht oder starker Kerl bekannt. Als armenischer Türke gehörte er zur religiösen Minderheit in Istanbul. Erst nach seinem Tod 2003 wurden seine Zeichnungen, Comics, Gedichte und Collagen entdeckt, die ihn posthum als einen Künstler verschiedener Gattungen ausweisen. Neben Fotos und Zeitschriftenmaterial, die Gül doch als typischen Macho porträtieren, ist ein Ausschnitt der Vielfalt seines Schaffens gezeigt. Die starke, stereotype Männlichkeit, die er mit seinem Bodybuilder-Körper repräsentierte, wird in seinen Comics und Gedichten mit Melancholie, Pathos und Ironie durchbrochen.

Ausstellungsansicht: Nilbar Güres, Aykan Safoğlu, Masist Gül, Foto: comusterer

Normative und Erotik treibt Nilbar Güreş in der Installation „Rose of Sapatão“ noch auf die Spitze. Allegorien und Verweise tummeln sich nun auf und nicht unter dem Tisch mit bürgerlichem Spitzendeckchen an deren Ende eine Phallus-Girlande in den brasilianischen Farben hängt. Nilbar Güreş schuf „Rose of Sapatão“ anlässlich der 31. Bienal de Arte de São Paulo und überträgt den Begriff aus dem brasilianischen Portugiesisch Sapatão, übersetzt sehr großer Schuh, der umgangssprachlich für Lesben steht, in ein Schuhmodell, das in der Türkei als Zuhälter-Treter bezeichnet wird. Hieraus erwächst eine Plastikrose, deren volle rosafarbene Blüte sich im akrobatischen Rundbogen zum Keramikdildo gegenüber neigt. Eine ironisches Skulpturenensemble zu Männlichkeit, Machismo und vielleicht unentdeckten Wünschen.

Mehtap Baydu.
Koza/Der Kokon/Cocoon, 2015
Video-Performance, 17‘26‘‘, Loop, Courtesy of the artist

Mehtap Baydu hingegen umhüllt sich sukzessive mit dekonstruierter Männlichkeit. Aus zerschnittenen Hemden von Männern, die ihr nahestanden, strikt sich die Künstlerin selbst in ein Kokon ein, so dass ihr nackter Körper und schließlich sie selbst in ihm verschwinden. Diesen äußerst beeindruckenden Prozess zeigt das 17-minütigen Video „Der Kokon“, das eine Zeitraffer ihrer 17-tägigen Performance 2015 in der documenta-Halle ist. Als was wird sich Mehtap Baydu aus diesem zerstörerischen wie liebevollen Akt entpuppen?

Mehtap Baydu,
Der Kokon, 2015
Video-Performance, 17‘26‘‘, Loop, Foto: comusterer

„ğ – das weiche g. Queere Formen migrieren“ sprüht vor Erotik, Anspielungen, Verweisen und gibt insbesondere Raum für die individuellen Positionen und Geschichten der Künstler_innen. Für die Ausstellung war es höchste Zeit. Sie setzt ein wichtiges wie gelungenes Signal gerade in Berlin, das sich zwar neben seinen offenen Szenen, Schwul-Lesbischen Straßenfesten sowie Denkmälern einer relativ breiten Akzeptanz und Unterstützung von LSBTIQ*-Menschen erfreuen kann, wo aber gleichzeitig die Anfeindungen oder Gewalttaten gegen queere Menschen wieder oder immer noch erschreckend steigen.

Keith King & Austin Drake Bryan, I Am Other, Foto: comusterer

Ergänzt wird „das weiche g“ um den Aspekt aktueller queer-migrantischer Erfahrungen aus weiteren Ländern mit der kleinen Ausstellung „The Lightest Shade of Aflatoon“ im Raum gegenüber. „What’s Your Story?“ war die Ausgangsfrage für ein integratives Projekt mit queeren Geflüchteten, das der Ausstellung voraus ging. Mit der Unterstützung des Projektfonds Kulturelle Bildung initiierten die Organisator_innen in Zusammenarbeit mit der LSBTI-Geflüchtetenunterkunft Treptow und dem Jugend im Mueseum e.V. einen Comic-Workshop, in dem die Bewohner_innen ihre Fluchtgeschichten und Wünsche für ihre Zukunft künstlerisch darstellen und anschließend dazu eine Ausstellung mit professionellen Kurator_innen entwickeln sollten. Dass das Konzept mit seiner gut gemeinten, doch letztendlich als missionarisch entlarvten, Attitüde nicht wie geplant realisiert werden konnte wird wohltuend ehrlich im Ausstellungstext dargelegt. Auch die Absurditäten der hiesigen Asylverfahrenspolitik werden hierbei noch einmal klar benannt.

Murtaza & Reza, Love Has No End, Foto: comusterer

Aus der gewinnbringenden Erkenntnis, dass derlei Projekte „die Projektteilnehmenden gleichberechtigt in die Projektentwicklung mit einbeziehen sollten, also Projekte mit den Teilnehmenden und nicht nur für sie zu planen und entwickeln“ seien, haben die beiden Kurator_innen zoya. und Hasan Aksyagin das Konzept geöffnet und zu den Workshopteilnehmer_innen weitere Künstler_innen mit Fluchterfahrung eingeladen. Mit Film, Fotografie, Malerei, Plakaten und Gedichten erzählen die Künstler_innen aus Syrien, Iran, Irak, Ägypten, Afghanistan, Uganda und dem Sudan von Diskriminierung, Sexualität, Rassismus, Identität und Liebe, von der Demütigung Transgender- und queerer Menschen, der Beziehung von Körper und Seele sowie der Frauen- und Lesben Emanzipation.

The Lightest Shade of Aflatoon, Plakatmotiv

Authentische globale Erfahrungen, die zeitlos erscheinen – immer noch. „The Lightest Shade of Aflatoon“ ist inspiriert von der Farbmischung eines reinen Weiß mit einem kräftigen Lila. Das Weiß als die Summe aller Farben wird so vom feministischen Lila verfärbt. Schon ein zarter Hauch Aflatoon würde für die Gesellschaften weltweit die Zeit endlich weiter drehen.

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„ğ – das weiche g. Queere Formen migrieren“ zeigt Arbeiten von: Aykan Safoğlu, Ayşe Erkmen, Cihangir Gümüştürkmen, Erinç Seymen, Hasan Aksaygın, Masist Gül präsentiert von Banu Cennetoğlu und Philippine Hoegen, Mehtap Baydu, Ming Wong, Nilbar Güreş, Taner Ceylan, Viron Erol Vert, Yeşim Akdeniz
– Die Ausstellung ist noch bis zum 29. Mai 2017 zu sehen.

„The Lightest Shade of Aflatoon“ zeigt Werke von Murtaza (in Kollaboration with Reza), Michael Daoud, Keith King (in Kollaboration with Austin Drake Bryan), Ahmed Isam Aldin, Hussam, Petra Gall und Raja Shamam.
– Die Ausstellung ist noch bis zum 5. Juni 2017 zu sehen.

Schwules Museum*
Lützowstraße 73, 10785 Berlin
Öffnungszeiten: Mo, Mi, Fr, So 14 bis 18 Uhr / Do 14 bis 20 Uhr / Sa 14 bis 19 Uhr

Weitere Termine des vielfältigen Rahmenprogramms zu „ğ – das weiche g. Queere Formen migrieren“:

16. April 2017 – Gespräch: Lubunca* mit Demet Demir – 16 Uhr – Schwules Museum* (Türkisch mit deutscher Übersetzung)
Demet Demir stellt ihr Lexikon Projekt Lubunca* vor und spricht über ihren Aktivismus und die Trans*-Bewegung in der Türkei.

23. April 2017 – Künstler_innen-Gespräch: Elmgreen & Dragset – 16 Uhr – Schwules Museum* (in Englisch)
Das Künstler-Duo Elmgreen & Dragset unterhält sich mit Aykan Safoğlu über die Istanbuler Biennale und darüber hinaus.

30. April 2017 – Workshop/Lesung: Fucking Germany – 16 Uhr – Schwules Museum* (auf Deutsch)
Mitglieder der Berliner queeren migrantischen Community vermitteln in einem Lese-Workshop Eindrücke aus Cem Yıldızs Buch Fucking Germany – Das letze Tabu oder mein Leben als Escort (Westend Verlag 2003). Die Anzahl der Plätze ist begrenzt, Teilnahme nur nach vorheriger Anmeldung möglich.

7. Mai 2017 – Künstler_innen-Gespräch: Ming Wong & Aykan Safoğlu – 16 Uhr – Schwules Museum* (in Englisch)
Die an der Ausstellung ğ – das weiche g – queere Formen migrieren teilnehmenden Künstler_innen Ming Wong und Aykan Safoğlu werden über ihre künstlerischen Praxen und ihre Zusammenarbeit diskutieren.

14. Mai 2017 – Ein Vortrag mit und über Pornografie: Emre Busse – 16 Uhr – Schwules Museum* (18+) (in Englisch)
Emre Busse setzt sich in seinem Vortrag mit deutschen Pornos auseinander, die in der Türkei produziert wurden.

21. Mai 2017 – Workshop: Haarsalon mit Sabuha Salaam – 16 Uhr – Schwules Museum* (auf Deutsch)
Verwöhne deine Haare mit den zarten und queeren Berührungen von Sabuha Salaam.

28. Mai 2017 – Mobile Kino präsentiert: Filmprogramm mit Maria Binder und Ebru Kırancı – 21:30 Uhr – Urban Spree (Revaler Str. 99, 10245 Berlin)
Der Film Trans X Istanbul(OmEU) wird unter freiem Himmel in Berlin gezeigt. Anschließend gibt es eine Podiumsdiskussion. (auf Türkisch und Deutsch)

29. Mai 2017 – Finissage – Künstler_innen-Gespräch: Erinç Seymen – 16 Uhr – Schwules Museum* (in Englisch)
Der an der Ausstellung beteiligte Künstler Erinç Seymen gibt in einem Vortrag Einblicke in seine künstlerische Praxis.

 

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