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Amy Philips: Mit Pauken und Trompeten

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Copyrigt: Amy Philips

Musiker aus Fernost sind längst ein vertrauter Anblick in den großen Orchestern dieser Welt. Indische Ensemblemitglieder sieht man hingegen selten und wenn, dann fast ausschließlich an der Violine. Eine Beobachtung, die Amy Philips (31) umtreibt, seit sie sich für Musik interessiert. Warum überhaupt findet die klassische Musik Europas – im Gegensatz zu den ostasiatischen Ländern Japan, China, Korea – in Indien so wenig Resonanz?

violin1Nach einer Ausbildung an der Veena, einem aus altindischer Zeit stammenden gezupften Saiteninstrument, wollte Amy Philips mehr erfahren über die klassische Musik, deren Notation sie von klein auf faszinierte. Doch qualifizierte Lehrer, die Holz- und Blechbläser sowie Streicher unterrichten können, fand sie nicht. Mit achtzehn Jahren verließ sie daher ihre südindische Heimat Kerala, um an der Christ Church University Kent Geige und Komposition zu studieren.

„In England habe ich erstmals ein Cello gesehen“, erinnert sich Amy Philips. Zuvor hatte sie das Instrument nur als Hintergrunduntermalung in Hollywoodfilmen gekannt. Es war eine neue fremde Welt der Musik, die sich ihr auftat – und die sie nun endgültig in ihren Bann zog. Zurück in Indien spielte sie beim einzigen, 2006 gegründeten Indian Symphony Orchestra (SOI) in Mumbai vor – mit Erfolg. „Es war irgendwie absurd“, erinnert sie sich. „Das Orchester bestand aus ca. 70 Musikern – überwiegend Russen und Engländern – doch es gab nur 14 indische Musiker, die meisten waren Violinisten.“

„Ich will das ändern“ erklärt Amy Philips selbstbewusst. Ziel ihres Langzeitprojektes: die Gründung einer Musikschule in Kerala. Doch erst einmal möchte sie ihre Landsleute für die klassische Musik sensibilisieren. Mit Unterstützung des Goethe-Institutes wird sie im Oktober gemeinsam mit den beiden deutschen Orchestermusikern Daniel Hoffmann und Anna-Lena Zenner – die im Übrigen beide auf ihre Gage verzichten – in den Städten Cochin und Tivandrum Konzerte veranstalten. Außerdem wird das Team in lokalen Bildungseinrichtungen Workshops abhalten. „Die Schüler sollen schon in jungen Jahren mit der westlichen Kultur und Musik in Berührung gebracht werden“, so das Ansinnen der Projektleiterin.

Das Musikhaus Thomann hat Celli und Geigen gesponsort, mit denen Kinder im Alter von sieben bis zwölf Jahren erste Erfahrungen machen können. „Es geht mir jedoch nicht darum, eine rein westliche Kultur in Indien zu etablieren“, betont die Musikerin.

withveenaStattdessen durchzieht der interkulturelle Dialog ihr Leben wie ein roter Faden. So war sie Assistentin des Orchestermanagements – unter der Leitung von Maestro Daniel Barenboim – beim West-Eastern Divan Orchestra. Auch an der preisgekrönten Kinderoper „Ein Märchen vom Fluss“, in der junge Talente mit Migrationshintergrund mitwirkten, war sie beteiligt. Von 2010 bis 2011 arbeitete die Wahl-Berlinerin mit dem Komponisten A. R. Rahman am KM Musikkonservatorium in Chennai zusammen. Er ist der Komponist des mit acht Oskars ausgezeichneten Films „Slumdog Millionaire“.

Doch was unterscheidet eigentlich die traditionelle Musik Indiens und Europas? Ein wesentlicher Unterschied besteht darin, dass es im Raga, der melodischen Grundstruktur der indischen Musik, keine Notation gibt, wie sie in der klassischen westlichen Musik seit der Renaissance genutzt wird. In Indien wird die Lehre mündlich von Generation zu Generation fortgetragen, vom Meister zum Schüler. „Indien hat bisher nicht die westliche Musik in das eigene musikalische System eindringen lassen“, konstatiert die Musikerin. So blieb die indische Musik – im Gegensatz zu anderen großen Kulturen – fast vollständig von fremden musikalischen Elementen unbeeinflusst. Die Abschottung könne mit der langen Kolonialherrschaft der Engländer in Indien zusammenhängen, vermutet Amy Philips.

All diesen Fragen geht sie derzeit – mit einem Stipendium der Konrad Adenauer Stiftung – als Doktorandin an der Hochschule für Musik und Tanz in Köln nach. Und ein Fernziel hat sie auch. „Irgendwann möchte ich dann eine Raga-Schule in Deutschland gründen.”

Tags : Amy PhilipsAnna-Lena ZennerDaniel HoffmannGoethe-Institut KeralaMusikhaus ThomannSOI