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Lampedusa – Ein Erinnerungsort im Mittelmeer

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Lektüren und Gespräche mit Maike Albath, Davide Camarrone, Maylis de Kerangal, und Mélanie Traversier

Es gab eine Zeit, da war Lampedusa eine kleine Insel zwischen Sizilien und Tunesien, die kaum jemand kannte. Diese Zeit ist lange vorbei. Am 3. Oktober 2013 versank vor seinen Küsten ein aus der libyschen Hafenstadt Misrata kommender Kutter, der mit etwa 545 Flüchtlingen aus Somalia und Eritrea beladen war. Hunderte Kinder, Frauen und Männer ertranken, und der Mangel in der Umsetzung oft laut postulierter eigener Ansprüche Europas wurde überdeutlich. Abend für Abend gingen die Bilder von Ertrunkenen oder Geretteten um die Welt, die an den Stränden der Insel angespült wurden oder, erschöpft und in Decken gehüllt, im Hafen von Bord gingen.

Wir alle waren Zuschauer eines moralischen und politischen Schiffbruchs. Weit abgelegen und doch im Zentrum des Weltgeschehens ist Lampedusa dabei ein alltäglicher Ort geblieben: Siedlung, Fischereihafen, Ferieninsel und Tauchparadies. Wenn der Fels im Meer immer schon eine Kreuzung mediterraner Routen und Wanderbewegungen war, steht Lampedusa doch heute zugleich um so mehr für eine europäische Wirklichkeit: Hier kreuzen sich Schicksale und Hoffnungen, Elend und Wohlstand. Den Blick auf eine humanitäre Katastrophe gerichtet, kann sich Europa der Verstrickung in seine Vergangenheit nicht entziehen. »Lampedusa« ist das Emblem eines hilflosen Schweigens und eines Wissens um notwendige Veränderungen zugleich. Wie dieses Schweigen zur Sprache bringen? Kann Literatur unseren Blick auf die Welt schärfen? Wie über Lampedusa schreiben?