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Eintritt in ein Lebewesen – Von der Sozialen Skulptur zum Plattform-Kapitalismus

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Die Gruppenausstellung EINTRITT IN EIN LEBEWESEN hätte Ende März eröffnen sollen. Aufgrund des Ausbruchs der Coronapandemie musste sie verschoben werden und nun wird sie ab 18. Mai im Kunstraum Kreuzberg unter Beachtung der Hygiene- und Abstandsregelungen zu sehen sein. Bei der Konzipierung der Ausstellung vor zwei Jahren war noch nicht absehbar, wie sehr das Thema in diesen Zeiten von Corona aktuell sein würde: Lock-in, Home-Office, Zoom-Konferenzen, Live-Streamings auf YouTube und anderen Plattformen prägen unseren Alltag während amazon und Lieferando die Profite machen, die bei kleineren Unternehmen ausbleiben. Plattformkapitalismus setzt sich immer mehr in unserem Alltag und in der Arbeitswelt fest. Die Ausstellung blickt kritisch auf diese Entwicklungen, die sich bereits seit Jahren abzeichneten.

1977 zeigte Joseph Beuys auf der documenta 6 seine Installation „Honigmaschine am Arbeitsplatz“, die in Schläuchen und Rohren Honig durch die Ausstellung pumpte. Die Arbeit versinnbildlicht Beuys’ Vorstellung vom erweiterten Kunstbegriff und von der sozialen Skulptur. „Jeder Mensch ist ein Künstler“ lautet seine berühmte Devise – nicht weil jede*r malen, tanzen oder musizieren kann, sondern weil wir alle durch unsere schöpferische Energie zu einer kollektiven Kreativität beitragen, die das eigentliche Kapital und Potential einer Gesellschaft ist, was Beuys auf die Formel „Kunst = Kapital“ bringt. Der Honig als „geistige Kraftnahrung des Kosmos“ (Beuys) verkörpert diese kollektive Kreativität.
Heute liefern wir unseren kreativen „Honig“ ganz freiwillig bei Internet-Unternehmen wie Google, Facebook, Twitter, TikTok oder Amazon ab. Computer und Smart­phones, Online-Lautsprecher und Fitness-Armbänder laden einen Großteil unserer Daten auf die Server dieser Firmen. Selbst Leihfahrräder und E-Scooter sammeln unsere Bewegungsdaten. Jeder Klick, jedes Like, jedes gepostete Foto und jeder Online-Kommentar von uns ist Kraftnahrung für die Unternehmen des „Überwachungs­kapitalismus“ ( Shoshana Zuboff ). Diese nutzen unsere Daten, um Werbung zu verkaufen, Prognosen über unser Verhalten anzustellen und ihre Algorithmen und ihre KI zu optimieren, um konkurrierenden Firmen den Marktzutritt so schwer wie möglich zu gestalten.

Die Ausstellung EINTRITT IN EIN LEBEWESEN hat ihren Titel von einem Vortrag, den Joseph Beuys 1977 während der documenta über die soziale Skulptur hielt. Sie ver-folgt diese Idee in die Gegenwart, in der viele im Internet und den sozialen Medien kreative Leistungen anbieten, aber nur wenige davon finanziell profitieren. Die Ausstel­lung wird von einer Veranstaltungsreihe begleitet. Sie bringt Kunstwerke aus mehr als vierzig Jahren zusammen, um zu verstehen, was zwischen der Entwicklung der sozialen Skulptur und dem Aufstieg von Plattform-Kapitalismus und Gig Economy geschehen ist und wie dieser Prozess in der Kunst bisher reflektiert wird.

Künstler*innen:
Cory Arcangel, Joseph Beuys, Aram Bartholl, Natalie Bookchin, Irene Chabr, James Coupe, Andy Deck, Constant Dullaart, Mark Flood, John D. Freyer, Aaron Koblin & Daniel Massey, Steffen Köhn, JODI, Miranda July & Harrell Fletcher, Olia Lialina, Jonas Lund, Judy Malloy, Michael Mandiberg, NEOZOON, Omsk Social Club, Nam June Paik, Mark Salvatus, Sebastian Schmieg & Silvio Lorusso, Ralph Schulz, Guido Segni, Johannes Stüttgen, Alex Tew, Amalia Ulman, Van Gogh TV

Zur Ausstellung erscheint ein Katalog mit 116 Seiten und 89 Abbildungen

Idee und Konzeption: Tilman Baumgärtel
Koordination und Realisierung: Nadia Pilchowski, Jorinde Splettstößer
Technische Ausstellungsproduktion: Kristoffer Holmelund
Mitarbeit: Elisabeth Kroegel, Lena Fetköther, Mareen Linsner, Linnéa Meiners