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Podiumsdiskussion: Frischer Wind aus den Niederlanden

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Fotos: Botschaft der Niederlande in Berlin

„Vielleicht liegt es an meinem Job, dass ich überall Niederländer sehe“, bemerkte Monique Ruhe, als sie am 17. Oktober die Podiumsdiskussion „Frischer Wind aus den Niederlanden“ eröffnete. Monique Ruhe ist die niederländische Botschaftsrätin für Kultur und Kommunikation in Deutschland. Und ihr Eindruck ist verständlich, wenn man die Museumslandschaft hierzulande betrachtet.

Tatsächlich haben derzeit viele Niederländer wichtige Museumspositionen in Deutschland inne. Die Niederländische Botschaft Berlin lud ein, diesem Phänomen nachzugehen. Nicht ganz ohne Selbstironie: „Sorgen die Niederländer für frischen Wind oder wirbeln sie alles durcheinander?“

Ist die starke Präsenz Zufall? Und falls mehr dahintersteckt, was sagt das über die deutschen Museen aus? Was über die Ausbildung, Berufsauffassung und Praxis der Museumsmacher? Wen sollen die Museen erreichen: Forscher oder Follower? Die Diskussion förderte die aufschlussreichen deutsch-niederländischen Unterschiede zutage.

Botschaftsrätin Monique Ruhe

Auf dem Podium vertreten waren Nanette Snoepe, Direktorin der Staatlichen Ethnographischen Sammlungen Sachsens, Léontine Meijer-van Mensch, neue Programmdirektorin des Jüdischen Museum Berlin, und der Direktor des Stadtmuseums Berlin, Paul Spies. Der Kunst- und Architekturkritiker Nikolaus Bernau moderierte die Runde.

Vorab verdeutlichte Monique Ruhe, Botschaftsrätin für Kultur und Kommunikation die Museumsbegeisterung ihrer Landsleute: Knapp 32 Millionen Museumsbesucher bei rund 17 Millionen Einwohnern, 1,3 Millionen Inhaber einer Museumsdauerkarte ….  Und das Parlament hat jüngst entschieden, dass zukünftig ein Besuch des Rikjsmuseum für jedes Schulkind Pflicht sei. Eindrucksvolle Zahlen also. Und das, obwohl die Besucher bisher freiwillig kamen, wie Ruhe augenzwinkernd anmerkte.

Sowohl Snoepe als auch Léontine Meijer-van Mensch und Spies vertreten Häuser, die es sich aufs Banner geschrieben haben, neue Wege einzuschlagen, um neue Besuchergruppen zu erreichen.

„Alte graue Männer in grauen Anzügen“

Die Frauen in der Runde thematisierten einen aus ihrer Sicht augenfälligen Unterschied gleich zu Anfang: „Hier in Deutschland sind die Museumsdirektoren meist alte graue Männer in grauen Anzügen“. Léontine Meijer-van Mensch, die dies beobachtete, und Nanette Snoepe, die sie bestätigte, sind beide in den Vierzigern.

In deutschen Museen stehe aufgrund der Nähe zur Forschung die akademische Laufbahn der Mitarbeiter im Fokus. Darin stimmten alle Diskutanten überein. So werde für wichtige leitende Positionen eine Habilitation vorausgesetzt. „Jüngere Leute, die voll im Leben stehen, sind manchmal aber vielleicht kreativer und flexibler“, unterstellt Meijer-van Mensch. Deren Arbeits- und Forschungsschwerpunkte sind u.a. partizipative Strategien in der Museumsarbeit, eine Hinwendung zur Gegenwart sowie eine stärkere gesellschaftliche Rolle der Museen.

 

Léontine Meijer-van Mensch und Nanette Snoepe

„Die Niederländer werden schon im Studium zu Generalisten ausgebildet“, so Meijer-van Mensch. Wenn sie selbst gefragt werde, wie genau sie ihre Position im Jüdischen Museum definiert, müsse sie erst überlegen: „Es ist irgendetwas zwischen Kuratorin, Vermittlerin und Managerin“. Die stark auf Fachexpertise ausgerichtet deutsche Museumslandschaft hingegen könne sehr zäh sein, so ihre Erfahrung. Auch herrschten ihrer Meinung nach Dünkel und Elitarismen vor, die „diskursiv nicht sinnvoll“ seien.

Völkerkunde und Migration

Ein Gegenbild zu den grauen Männern ist auch Nanette Snoepe. Selbstbewusst repräsentiert die Mutter von drei Kindern eine Generation hochqualifizierter Frauen, die mitten im Leben steht.

Nach 25 Jahren in Paris, wo sie u.a. als Chefkuratorin der historischen Sammlung am Quai Branly Museum in Paris tätig war, übernahm die Anthropologin 2016 die Einladung, die Staatlichen Ethnographischen Sammlungen Sachsens zu übernehmen. Zu der immerhin zweitgrößten Sammlung Deutschlands zählen das Museum für Völkerkunde zu Leipzig, das Museum für Völkerkunde Dresden und das Völkerkundemuseum Herrenhut.

Es sei schon ein Schritt gewesen, die Stadt an der Seine gegen Dresden einzutauschen, wo damals Pegida erstarkte. Doch diese befremdliche Situation habe Snoepe erst recht motiviert: „Wo sonst soll man über Migration reden, wenn nicht in einem Museum für Weltkulturen?“ Immerhin lebe die Menschheit in einer ewigen Diaspora und nichts bleibe, wie es war.

Neben der herausragenden Sammlung reize sie in Dresden die Freiheit von politischer Einflussnahme. In Paris sei das anders gewesen: „Das Quai Branly war das Steckenpferd von Staatschef Jacques Chirac, und seine Einmischung reichte bis zum letzten Etikett an den Exponaten“.

Auch Paul Spies’ Karriere ist nicht die eines „grauen Mannes im grauen Anzug“. Nach dem Studium hatte der 1960 geborene Kunsthistoriker und Archäologe das Unternehmen D’ARTS gegründet, das Kulturprojekte managte und beriet. Offensichtlich kamen ihm diese weitgefächerten Kenntnisse später als Direktor der Amsterdam Museum Foundation zugute. So führten seine innovativen Konzepte zur Steigerung der Besucherzahlen und der Verdoppelung der Einnahmen.

„Wieso ist die Welt bei uns?“

Eben diese Erfolge waren es, die den Berliner Senat überzeugt hatten, Spies 2016 zum Stadtdirektor der Stiftung Stadtmuseum und Chefkurator des Landes Berlin im Humboldt-Forum zu bestellen. Dass Berlin sich auf der Museumsinsel repräsentieren kann, sieht er als goldene Chance. Weltstädte, so fordert er, sollten sich Gedanken über ihre Rolle in der Welt machen. Im Vordergrund sollten die Fragen stehen: „Wieso ist die Welt bei uns? Was können wir teilen?“

Paul Spies

Während Léontine Meijer-van Mensch das deutsche Museumspublikum für „zu weiß, zu bourgeois“ hält, sieht Spies das Gefälle zwischen Besuchern mit oder ohne Migrationshintergrund weniger dramatisch: „In zwanzig Jahren wird das in Berlin gar kein Thema mehr sein.“

Entscheidender sei es, das junge Publikum mit neuartigen Formaten zu gewinnen. Derzeit brauche das Stadtmuseum eigentlich zwei Eingänge, so Spies: einen mit der Überschrift „klassisches Programm“, einen mit der Überschrift „Fun“.

Sind niederländische Museumsmacher für den sozialen Wandel und die Heterogenität der Besucherbedürfnisse sensibilisierter? Und deshalb vielleicht auch flexibler?

Diversität und Weltgeschichte

Mit Blick auf das Humboldt Forum warf Paul Spies ein, dass Holland aufgrund seiner Kolonialgeschichte schon immer besonders international und damit divers angehaucht gewesen sei. Auch sei es in den Museen üblich, in der Personalpolitik auf Diversität zu achten, sei diese ethnischer, geschlechtlicher oder sexueller Natur. Das möchte er nun auch für das Stadtmuseum erreichen.

Mithilfe des Berliner Projektbüros für Diversitätsentwicklung Diversity.Arts.Culture suche er bereits seit geraumer Zeit nach qualifizierten Mitarbeitern mit einem Migrationshintergrund. Die Suche scheitere jedoch letztendlich daran, dass das Humboldtforum bei vielen als eine „von weißen Herren geleitete, neokoloniale Institution“ wahrgenommen werde. „Und dann auch noch mit einem Kreuz obendrauf“, fügte Bernau ironisch hinzu. Und so ist auch das eine Erkenntnis des Abends: Diversität und kulturelles Verständnis sind keine Einbahnstraße, in keine Richtung.

Es sind also noch etliche Aufgaben zu bewältigen, damit das Stadtmuseum noch mehr Aufwind bekommt, neue Besuchergruppen erreicht, alte weiterhin bindet und sich zu einem Publikumsmagneten entwickeln kann. Einen universellen Königsweg zum Erfolg für das Museum von morgen gibt es offensichtlich nicht. Doch so viel ist gewiss: Laue Lüftchen reichen nicht, um den Staub wegzupusten. Es braucht schon einen kräftigen frischen Wind.

 

 

 

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