Es ist Tradition geworden, dass auch die Institutionen und Projekträume mit den vielen Galerien in der begehrtesten Kunstwoche des Jahres ihre Ausstellungen eröffnen, schließlich ist das internationale Kunstpublikum zu Gast in der Stadt. Für Kunstenthusiasten aller façon war der Veranstaltungskalender der Berlin Art Week also prall gefüllt, dabei gut strukturiert und dennoch kaum zu bewältigen. Die Häuser und Räume waren mit dem strömenden Kunstpublikum mehr als gut besucht, der Blick auf die Kunst, den Kunstraum dafür oft erschwert.
Die Art Week ist und war auch diesmal wieder der fulminante Start in das letzte Kunstquartal des Jahres. Für die dort angelaufenen Ausstellungen der Institutionen, die sich um die Messen – die neu konstituierte art berlin und die mittlerweile gut etablierte Positions – sowie die lokalen Galerien rankten, kann zusammenfassend die Verschlagwortung ‚konzeptionell, ernsthaft und mitreißend‘ gelten. Sie sollten unbedingt (noch) einmal mit Ruhe besucht werden, denn die Kunst und ihre Inszenierungen sind von aktueller gesellschaftlicher Relevanz und Brisanz.
Die Galerie Kunstpunkt gibt raumlosen Projekten einen Raum und präsentiert die Projektinitiativen CargoCult und Zona Dynamic. Sie sind zwei der Preisträger der diesjährigen „Auszeichnung künstlerischer Projekträume und -initiativen“ der Senatsverwaltung für Kultur und Europa. Die beiden Kollektive arbeiten mit performativen Formaten an einer anderen Vermittlung ihrer nichtmateriellen Kunst. Um diese dennoch zu präsentieren, zeigen sie nun Objekte, Installationen und ein Kurzfilm-Programm. Neben den Relikten ihrer Interventionen im öffentlichen Raum sind von Zona Dynamic in einem Voyeurs Cube kurze Performances zu erleben. Die Gruppe arbeitet, agiert und reagiert ausschließlich im urbanen Raum. CargoCult präsentiert eine Mischung aus Inszenierung und Performance und erforscht mit den Mitteln der Kunst die sozialen, kommerziellen und kapitalistischen Hintergründe von Mode, Massenmedien, Technik und der Kunst.
Nicht gerade immateriell, aber als künstlerische (klandestine) Interventionen im urbanen Raum, in der Regel nur temporär, definiert sich ebenso die Street Art. Zur Art Week eröffnete das erste Museum mit diesem Fokus in Berlin, das URBAN NATION Museum for Urban Contemporary Art. Direktorin Yasha Young versteht das von ihr gegründete Museum als Sammlung für die Historie der Street Art und nicht als ihre Domestizierung. Beeindruckend, energetisch kraftvoll und mitreißend war das Eröffnungswochenende, bei dem die Bülowstraße zu einer Artmeile wurde mit Skate-Rampen, HipHop und natürlich reichlich Street Art verschiedenster Formen und auch zum Mitmachen. Ein Highlight war der Street Art-“Boulevard“ unter der U-Bahntrasse. Schade, dass die Kunst wieder den Autos und dunklen Winkeln weichen musste. Zeit, in das Museum zu gehen, bleibt nach der Überfüllung am Wochenende nun zum Glück reichlich und viele interessante Projekte im urbanen Raum stehen im Kalender.
Zwischen Bildender Kunst, Performance und Tanz eröffnete Miet Warlop mit einer Werkschau die Herbstsaison vom HAU Hebbel am Ufer. Miet Walop kreiert Objekte und Prothesen, die an Dada oder Fluxus erinnern, und überlegt erst im zweiten Schritt, wie diese auf der Bühne in eine Dynamik verwickelt werden können. Das HAU wird nach diesem Saisonstart mit dem Festival “Der Maulwurf macht weiter. Tiere / Politik / Performance“ mit Theater, Tanz, Diskurs, Musik und Installation zum Experimentierraum der Höhle und verhandelt die Frage, wie in einem anderen Kontext neue Formen des Zusammenlebens erfunden werden können.
Kunst, Musik und Politik verschmelzen miteinander an den Wänden der daad galerie. Wilson Diaz entlarvt politische Manipulationen in seinem Land Kolumbien anhand von Plattencovern. Für die Ausstellung „Chimera“ hat er Platten aus den 1960er bis 90er Jahren zusammen gesucht und offenbart mit dieser Chronologie die Vereinnahmung der Popkultur durch Staat, Parteien, die Guerilla, Konzerne und sogar Kartelle für ihre politischen, ideologischen und wirtschaftlichen Interessen. Die Embleme der jeweiligen Auftraggeber zieren die Cover, während die Platten als Geschenke weitreichend vertrieben wurden.
Bildende Kunst und Musik treffen, ergänzen und korrespondieren miteinander in den verstörenden Animationsfilmen, die im Salon Frieder Burda zu sehen sind. Während sich die bunten Knetfiguren von Nathalie Djurberg zu den psychischen Abgründen des menschlichen Seins hinab echauffieren, potenziert der von Hans Berg dazu unterlegte Soundtrack noch einmal das Geschehen. Aus anfänglichen spielerischen wie lustvollen Settings werden zerstörerische, traumatische Szenarien, die unterdrückte psychische Zustände offenbaren und Machtverhältnisse bloßstellen. Die Werke von Nathalie Djurberg und Hans Berg, die beide als Künstlerpaar zusammenarbeiten, treffen zudem in der Ausstellung auf einige Spätwerke des Altmeisters des Expressionismus, Willem de Kooning. Eine eindrücklich wie nachhaltig wirkende Begegnung.
Architektur und Macht ist das durchgängige Thema von Monica Bonvicini. Im ersten großen Ausstellungsraum der Berlinischen Galerie beweist die Künstlerin ihr Können im künstlerischen Umgang mit Raum. Der Ausstellungssaal ist zunächst bis zur Decke mit Aluminiumpaneelen versperrt, ein Raum im Raum, so scheint es. Hinter einer kleinen Tür öffnet sich jedoch die Weite des spartanisch bestückten Raumes. Fokus hier ist eine an der Decke montierte Mechanik, die eine bis zum Boden hängende Liane mit Schweif und Gürteln choreographiert. Sie teilt den Raum durch Bewegung, erst sanft und gleichmäßig, dann stark und schnell. Es braucht einen gewissen Mut und eine gute Beobachtung, diese immaterielle Trennlinie zur anderen Hälfte des Raumes zu durchschreiten. Weiter zügelt ein Leitgitter mit einer Handschelle symbolisch etwaige Menschenströme und ein beiläufiger Lichtschalter ist auf NO anstatt auf ‚on‘ gestellt. Diesen und allen weiteren Werken der Ausstellung ist das Spiel der Doppeldeutigkeit der Materialien inhärent, dabei füllen Korrespondenzachsen zwischen den einzelnen Elementen die immense Höhe des Raumes mit vielerlei Assoziationen und Interpretationen.
Der Neue Berliner Kunstverein (n.b.k.) präsentiert wie üblich drei Ausstellungen gleichzeitig. Im Zentrum steht die beeindruckende Retrospektive von Harun Farocki, die ihn hier als Künstler, weniger als Filmemacher, vorstellt. Gezeigt werden in horizontalen Bildschirmreihen die mehrkanaligen Videoinstallationen „Fressen und Fliegen“ und „Tropen des Krieges“ sowie die Arbeit „Umgießen“, die automatisierte Arbeitsprozesse thematisiert. Farocki adaptierte die Performance des Fluxuskünstlers Tomas Schmit, indem er die Arbeit des Umgießens von einer zur nächsten Wasserflasche einem Roboter übertrug. Farocki war immer seiner Zeit voraus, doch die hier präsentierte Auswahl seiner Arbeiten fokussiert noch einmal die Aktualität seiner Werke, die durch dokumentarische Materialien ergänzt werden. Die Retrospektive ist eine Kooperation mit dem Kino Arsenal, dem Harun Farocki Institut und Savvy Contemporary. An der Fassade des n.b.k. verbindet Alfredo Jaar in Piktogrammen die Geschichte der Straße, der Stadt und der derzeitigen Ausstellung miteinander.
Die Ausstellung „The Crack-Up“ von Claire Fontaine, ein Künstler_innen und Autor_innen-Kollektiv, ist im Showroom präsentiert. Clair Fontaine arbeitet interdisziplinär und untersucht die Probleme des Kapitalismus sowie die Erfahrungen von Fremdheit. Banale Alltagsobjekte wie zerbröckelte Kräcker in der Verpackung oder Murmeln, über die ein Glas gestülpt ist, zeigen den Zustand des Eingeschlossenen und bekommen politisch-gesellschaftliche Symbolkraft mit der sich anschließenden Frage „Was passiert, wenn diese Energie frei würde?“.
Andere Ausstellungen werfen direkt Fragen zu der Kunst und deren Freiheit auf, wie etwa „Portrait of a Nation“ im me Collectors Room Berlin (s. unseren Beitrag Verhüllte Kritik. Kunst aus Abu Dhabi). Wieder andere fordern die uneingeschränkte Zeit des Betrachters ein, weil sie selbst ein Produkt der Zeit, der Anwesenheit und Abwesenheiten durch die Zeit sind, wie „Whiteout“ von Willem de Rooij in den Kunstwerken.
Wie gesagt, die Berlin Art Week war erst der Start in den Kunstherbst.
Nur noch bis 30.09./01.10:
KUNSTPUNKT Berlin |Galerie für aktuelle Kunst
Sammlung Frieder Burda
Mehr Zeit bleibt für die Ausstellungen:
URBAN NATION MUSEUM FOR URBAN CONTEMPORARY ART
HAU Hebbel am Ufer
daad Galerie
Berlinische Galerie
Neuer Berliner Kunstverein