close

Kunstgeschichte(n) – Ausstellung Postwar im Münchner Haus der Kunst

el-salahi_self_portrait_of_suffering_iwalewahaus-f
Fotos Haus der Kunst, München

Im ersten Moment erinnert sie an eine Klagemauer, die Stellwand im Münchener Haus der Kunst. Eine Klagemauer, die übersät ist mit Porträts. Ein längliches Gesicht bildet das Zentrum dieser Gemälde-Wand: das „Self-Portrait of Suffering“ von Ibrahim El-Salahi. Der 1930 geborene sudanesische Künstler, heute einer der wichtigsten Vertreter der afrikanischen und arabischen Moderne, schuf es 1961. Damals war in Europa und den USA kaum jemandem bewusst, dass auch der „Rest der Welt“ Kunst hervorbringt. 16 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges war New York der Nabel des Geschehens – und die westliche Kunstszene drehte sich im rasanten Tempo um diesen neuen Fixpunkt.

Doch im US-amerikanischen Kunstbetrieb gehörten längst nicht alle Amerikaner selbstverständlich dazu, mussten sich ihren Status erst erkämpfen. So der afroamerikanische Maler Jack Whitten, dessen Werke heute weltweit in vielen wichtigen Sammlungen hängen.

Jack Whitten – ein Afro-Amerikaner in New York

In der Ausstellung „Postwar: Kunst zwischen Pazifik und Atlantik, 1945-1965“ befinden sich links neben El-Salahis Konterfei auch vier Gemälde des New Yorkers aus dem Jahr 1964. Die Porträts, schlicht mit dem Titel „Head“ benannt, beziehen sich explizit auf die rassistisch bedingte Gewalt, der Whitten sowohl als junger Mann in seiner Heimatstadt Bessemer, Alabama, als auch später während seines Engagements in der Bürgerrechtsbewegung in New Orleans ausgesetzt war.

Darüber hinaus greift Whitten die Legende des schwarzen Gefangenen Henry Wells auf, der in den 60er-Jahren in einem Gefängnis in den Südstaaten inhaftiert war. Als er gerade dem wütenden Mob unter seinem Fenster beteuerte, dass er unschuldig sei, schlug ein Blitz ein – und das Abbild seines Gesichtes übertrug sich der Überlieferung nach auf die Fensterscheibe.

Whitten beschwört dies Antlitz hervor, indem er an die Grenzen des Mediums Malerei geht und mithilfe eines Siebdruckverfahrens zwischen Abstraktion und Figürlichkeit changiert. Die überschüssige weiße Farbe, die er auf eine dunkle Oberfläche aufgetragen hat, entfernte er später, indem er ein netzartiges Tuch aus Viskose auf das Gemälde legte.

1-baselitz-bigIn dem Raum „Neue Menschenbilder”, befinden sich El-Salahi und Whitten in prominenter Gesellschaft: Neben den Heroen des Westens – Francis Bacon, Georg Baselitz, Willem de Kooning, um nur einige zu nennen – korrespondieren ihre Bildnisse mit den Menschendarstellungen des Kubaners Wifredo Lam oder des Japaners On Kawara.  „Neue Menschenbilder“ ist eines von acht Kapiteln, die der Hauptkurator Ulrich Wilmes gemeinsam mit Okwui Enwezor (Haus der Kunst) und Katy Siegel (The Baltimore Museum of Art) zusammengetragen hat.

Kann Vielstimmigkeit zur Kakophonie führen?

Es ist ein ambitioniertes Projekt, das die Kuratoren mit ihrer Ausstellung ins Leben gerufen haben. Ihr Ziel ist es, den westlichen Blick aufzugeben, „vielstimmig“ künstlerische Positionen aus den zwei Dekaden nach dem zweiten Weltkrieg erklingen zu lassen. Doch kann eine Vielstimmigkeit nicht leicht zur Kakophonie zu führen?

Immerhin sind es Arbeiten von 218 Künstlern aller Genres aus mehr als 60 Ländern, die bis zum 26. März 2017 in München zu sehen sind. Im Fokus steht die ganze Welt: Ost und West, Nord und Süd, Kolonisatoren und Kolonialisierte, Pazifik und Atlantik…

Krise des Humanismus

Zerstörte Länder und Städte, eine massive Flüchtlingskrise, Millionen staatenloser Menschen auf der einen Seite und die Auseinandersetzung mit dem Holocaust und dem Abwurf der ersten Atombomben auf der anderen Seite prägten die beiden Dekaden nach dem Krieg. Der Humanismus steckte in einer schweren Krise, Künstler versuchten, mit ihren Mitteln die aus den Fugen geratene Welt zu erklären.

Enzyklopädisch zeigt die Ausstellung auf, was sich in den ersten Jahren nach dem Krieg global in der modernen Kunst getan hat, vermittelt Wechselwirkungen, Parallelen, Brüche. Sie untersucht verschiedene Konzepte der künstlerischen Moderne wie Abstraktion, Realismus, Gegenständlichkeit und Figuration und erkundet, wie Künstler die Moderne individuell rezipieren und formulieren. Ein Schwerpunkt liegt dabei auf der zunehmenden globalen Verflechtung und gegenseitigen Abhängigkeit infolge neuer geopolitischer Zusammenhänge und technologischer Möglichkeiten.

Der Schau vorausgegangen ist ein achtjähriges Forschungsprojekt des Hauses der Kunst mit internationalen Partnern. Das Ergebnis ist eine vervielfachte Kunstgeschichte, ein Kompendium, das nahezu aus allen Nähten platzt.

Sensationelle Leihgaben aus aller Welt

Leicht gerät der Besucher angesichts der großartigen Leihgaben in einen Rausch, sieht er sich doch hinter fast jeder der zahlreichen Stellwände mit einem neuen Meilenstein der künstlerischen Entwicklung konfrontiert. Ein Kick folgt dem nächsten, macht geradezu atemlos.

el-salahi_the_prayer_iwalewahaus-f
El Salahu, The Prayer, Iwalewahaus

Doch leicht kann das weltumfassende Angebot auch zur Überforderung des Besuchers führen. Vor allem die Wandtexte tragen nicht wirklich dazu bei, das Konzept der Kuratoren zu verdeutlichen. Nicht selten sind die Erläuterungen derart verquast und gestelzt formuliert, dass selbst mit der Thematik vertraute Kunsthistoriker den Sinn dahinter nur vermuten können. Was etwa ist ein „nationalistischer Developmentalismus“?

Informativ und verständlich ist hingegen ein Kurzkatalog verfasst, der die einzelnen Künstler vorstellt. Er bügelt die Unzulänglichkeiten der Wandtexte wieder aus – zum Preis von 10 Euro. In Verbindung mit 14 Euro Eintritt mag dies für einen Teil der Kunstinteressierten nicht so ohne weiteres erschwinglich sein. Stolze 847 Seiten umfasst übrigens die Mammutausgabe des Kataloges.

Auf der Habenseite zu verbuchen: Engagierte Guides machen die Defizite der Vermittlung wieder wett: In der Ausstellung stehen sie kompetent und freundlich für Fragen der Besucher bereit.

So etwa für die Frage, warum das Kapitel der „Konkreten Visionen“ so überfrachtet ist. Großartig ist die Nebeneinanderstellung der 1-clark-bigFarbfeldarbeiten von Ad Reinhardt, der Brasilianerin Lygia Clark und dem Italiener Enrico Castellani, der mit dem monochromen Gemälde „Superficie angolare nera“ von 1961 vertreten ist. Leider hängen die drei kontemplativen Werke stiefmütterlich behandelt an einer Stirnwand – vis á vis eines Gewimmels von Gemälden und Skulpturen anderer Künstler, darunter Hans Haacke, Elsworth Kelly und Rasheed Araaens.

Rasheed Araeen – das Frühwerk

Gerade Araeen erfährt in der Ausstellung eine späte Würdigung seines Frühwerkes. In den 60er-Jahren war er nach Großbritannien gekommen, um sich dort der Minimal Art zu widmen. Doch er fühlte sich auf Grund seiner pakistanischen Herkunft vom Mainstream ausgeschlossen. Wütend reagierte er damals mit der Ausstellung „The Other Story. Afro-Asian Artists in Post-war Britain“. Fortan sollte Araeen – notgedrungen – politische Kunst machen, um auch den „unsichtbaren“ farbigen Künstlern eine Stimme zu gehen. In der Schau stehen seine abstrakten Objekte nun gleichberechtigt neben den Positionen der westlichen Kollegen. „My first Sculpture“, eine schlichte Stahlkomposition aus dem Jahr 1959, etwa zeigt, wie weit der Pakistani damals seiner Zeit voraus war.

daria-bigDoch auch bei der Ansicht der Objekte Araeens wünscht man sich – ebenso wie bei den Wandarbeiten von Reinhardt, Clark und Castellani – Raum und Abstand. Ohne Unterlass ist der Kortex des Besuchers unter Hochdruck. Sein Bedürfnis nach Sinnlichkeit und Kontemplation – gerade angesichts der Farbfeldmalerei auf Weltniveau – bleibt indes weitgehend unbefriedigt. Zwar setzen die Kuratoren ihr Konzept konsequent um. Die zum Teil hochkarätigen Werke dienen ihnen, so hat es den Anschein, zur Illustration ihres Konzeptes. Leider ist dabei die Entfaltung der Kunst ins Hintertreffen geraten. Und so wirkt das Ergebnis arg gedrängt und überfrachtet.

Eine sinnliche Ausstellung ist es nicht, die Ulrich Wilmes, Okwui Enwezor und Katy Siegel geschaffen haben, dafür jedoch eine Ausstellung, die umso mehr Sinn macht.

 

 

Haus der Kunst

Prinzregentenstraße 1

80538 München

Öffnungszeiten: Mo-So 10 – 20 Uhr, Do 10 – 22 Uhr

 

 

 

Tags : 1945-1965Ad ReinhardtEnrico CastellaniFrancis BaconGeorg BaselitzHaus der Kunst MünchenIbrahim El-SalahiJack WhittenKaty SiegelLygia ClarkOkwui EnwezorPostwar: Kunst zwischen Pazifik und AtlantikRasheed AraeenUlrich WilmesWillem de Kooning