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Vielseitig, kollaborativ, hybrid – Ausstellungen zur Berlin Art Week und darüber hinaus

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© Kulturprojekte-Berlin Foto: Ricarda Spiegel

Die Berlin Art Week – ein Kunstmarathon ohne gleichen. Sechs Tage im Flow der Kunst in der Stadt, in der sowieso jeden Tag Vernissage ist. Längst erscheinen die Messen abc und die jüngere Positions nicht mehr als Hauptakteure, sondern reihen sich in die vielen Programmpunkte ein. Künstlerfilme, Private Sammlungen, freie künstlerische Projekträume, Institutionen und auch die Galerien außerhalb der Messen sind weitere Überschriften, unter denen sich eine Vielfalt an künstlerischen Präsentationen subsumiert. Dazu überflutet sich noch die Berlin Biennale zu ihrem Endspurt mit einem 12-Stunden-Programm von Performances, Filmen, Diskussionen oder Guided-Tours.

Unerwartet viele Institutionen haben die Berlin Art Week mit Künstler*Innen und Ausstellungen eröffnet, die Aspekte des Teilens im weiteren Sinne präsentieren, sei es durch „hybride Kunstformen“, Aufgabe der Autorenschaft, Kollaborationen oder tatsächlich partizipative Momente zwischen Künstler/innen oder dem Publikum. Yeast – Art of Sharing teilt hier eine Auswahl an Ausstellungen – zu einigen werden noch ausführliche Rezensionen folgen.

Nationalgalerie –Staatliche Museen zu Berlin, Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwart – Berlin Anne Imhof, Foto: Nadine Fraczkowski
Nationalgalerie –Staatliche Museen zu Berlin, Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwart – Berlin Anne Imhof, Foto: Nadine Fraczkowski

Beeindruckend präsentiert die Nationalgalerie den sich derzeit offensichtlich vollziehenden Wandel in der Kunst. Der Hamburger Bahnhof wird zum Ort eines choreografischen und gleichsam situativen Geschehens: Anne Imhof, die Trägerin des Preises der Nationalgalerie 2015, verwandelt die historische große Halle in eine Bühne, einen Aktionsraum und doch gleichsam in ein Bild – die Künstlerin versteht sich selbst letztendlich als Malerin. Sie schafft ein Gesamtkunstwerk, das sich in keine Kategorie einordnen lässt, dennoch als eine Oper in drei Akten bezeichnet wird. Angefangen im Juni mit dem ersten Akt im Kunstmuseum Basel, hat der zweite Akt „Angst II“ nun zur Berlin Art Week Premiere. Anne Imhof erarbeitet ihre Werke mit vielen verschiedenen Personen aus sehr unterschiedlichen Professionen. Sie gibt die Settings vor, teilt aber die Autorenschaft im weiteren Verlauf der Darbietung mit den Performern. Per Mobil-Phone erfolgt die Steuerung der Effekte sowie der Sounds, die mit der Übertragung durch hohe Marshall-Türme unweigerlich an große, legendäre Rockkonzerte erinnern. Nebelschwaden erfüllen dazu den Raum und verwischen das Bild. Eine Hochseiltänzerin, ein Falke und eine Drohne öffnen den (Denk-)Raum himmelwärts. Unweigerlich wird das Publikum Teil der Perfomance interagiert allein im Dasein mit den Performern und komplettiert das Bild gleichermaßen. Denn es betrachtet nicht (nur), sondern kommt, geht, steht, sitzt mitten im Geschehen – nur das Rauchen bleibt allein den Performern vorbehalten. Insgesamt nur an 10 Abenden zu erleben. Der Eintritt ist frei.

Apropos Rauchen: Der Martin-Gropius-Bau zeigt die Ausstellung „Pina Bausch und das Tanztheater“. Nach Tino Sehgal ist hier ein weiteres “Display”, geschaffen worden, Tanz in eine Ausstellung zu bringen. Zentraler Punkt ist im großen Lichthof die Lichtburg, der Probenraum in Wuppertal, in dem alle Stücke von Pina Bausch, der Tänzerin, außergewöhnlichen Choreografin und Kettenraucherin, entstanden. Die Besucher können hier nun ebenfalls kleine Choreographien erlernen und üben in den begleitenden Workshops zur Ausstellung. Videos, Schriften, Notizen, Plakate, Eintrittskarten und Fotos ergänzen diese körperlichen Erfahrungen und vermitteln das Denken wie den künstlerischen Ansatz von Pina Bausch. Insbesondere die große Video-Installation im letzten Raum ist eine hervorragende Collage, in der Ausschnitte ihrer Choreografien über die Jahre hinweg vergleichend nebeneinander gesetzt sind. Durch ein reichhaltiges Programm soll die Ausstellung zu einem performativen Raum für das internationale Publikum werden. „Auch als Kompanie sind wir ganz international. So viele Persönlichkeiten aus ganz unterschiedlichen Kulturen… Wie wir uns gegenseitig beeinflussen, inspirieren, von einander lernen… So reisen wir nicht nur, wir selbst sind schon eine Welt für sich. 2007“, Zitat von Pina Bausch in der Ausstellung:

Fassade KuLe e.V.
Fassade KuLe e.V.

Nicht nur gemeinsam gearbeitet, sondern auch zusammen gelebt wird im Kunsthaus KuLe e.V., einer der ausgezeichneten künstlerischen Projekträume in diesem Jahr. Der Name „Kunst und Leben“ ist seit über 20 Jahren Programm für das Künstlerkollektiv, das derzeit aus 17 Personen besteht. Im Rahmen der Ausstellung „miSíon mischen 88“ findet auch die “Black Berlin Biennale 2.0” mit einer Fassadengestaltung zum Völkermord in Namibia statt. Die Initiatoren AFROTAK TV cyberNomads sind seit einem Jahr im KuLe. Die Black Berlin Biennale 2.0 läuft noch bis zum 30.10.2016, am 15. und 16. Oktober finden Veranstaltungen anlässlich des Namibia-Kongresses statt. Das Haus selbst ist minimal saniert und erinnert so an die Zeit direkt nach dem Mauerfall als in dem Quartier um die Auguststraße Wohnungen und Läden mit künstlerischen Interventionen zu entdecken waren. Kein White Cube also, sondern eher Wohn- und Arbeitsräume, die, wie auch die Fassade, von den Künstler*innen, die im KuLe leben oder zu Gast sind, gestaltet werden. Herausforderung und Experiment zugleich und immer einen Besuch wert.

n.b.k., Halil Altindere Space Refugee, Foto: comusterer
n.b.k., Halil Altindere Space Refugee, Foto: comusterer

Im n.b.k. nimmt der Besucher an einer Projektvision teil und taucht – wortwörtlich – in ein Universum ein, das beinahe alle Bereiche für ein zukünftiges Leben auf dem Mars durchspielt. Ausgangspunkt der ungewöhnlichen Reise in seiner Ausstellung „Space Refugee“ ist für den türkischen Künstler Halil Altındere die Erinnerung an Muhammed Ahmed Faris, der als erster syrischer Kosmonaut 1987 in einem sowjetischen Raumschiff mit zur Raumstation Mir flog. Mit in Auftrag gegebenen Malereien, einer Büste und einem Dokumentarfilm aktiviert Altındere das historische Gedächtnis für den ehemaligen Helden der Sowjetunion, der heute als Geflüchteter in Istanbul lebt und wo der Künstler ihn auch persönlich kennenlernte. Humorvoll, ironisch und kritisch leitet er von dieser vergessenen  Historie die Idee ab, den Mars als Ort für Geflüchtete zu etablieren, wenn sie in Europa denn niemand haben möchte. Raumanzüge- und fahrzeug, Aerogarden, eine Palmyra-“Raumfahrtsmission bis hin zu Briefmarken elaborieren die Projektidee eindrücklich mit einem Spiel aus Referenzen an die Ästhetik des sozialistischen Realismus. Eine Satire, sie auf die eigene Gesellschaft zurückwirft.

HAU, Halil Altindere, Außenraum, Foto: comusterer
HAU, Halil Altindere, Außenraum, Foto: comusterer

Im HAU Hebbel am Ufer hingegen gehen Geflüchtete mit der „Köfte Airlines“ auf Reisen. Im Rahmen des interdisziplinären Tanz-Festivals „Die Ästhetik des Widerstands – Peter Weiss 100“ lud das HAU in Kooperation mit dem n.b.k. Halil Altındere als Bildenden Künstler für ein Projekt ein. Die Installation „Köfte“ zeigt, wie mehr und mehr Geflüchtete auf dem Rücken eines Flugzeuges Platz nehmen – Gefahr und Absturz, Besetzung und Besatzung oder auch der Fliegende Teppich sind hier nur einige Assoziationen hinter dem ironischen Bild dieser ungewöhnlichen Reisevariante.

Ausschnitt "Monument für die 308", Andreas Greiner, Foto: comusterer
Ausschnitt “Monument für die 308”, Andreas Greiner, Foto: comusterer

„Das Teilen der Autorenschaft ist das Prinzip meiner Arbeit“, so der GASAG-Preisgewinner Andreas Greiner. Er betreibt einen intensiven Austausch mit Wissenschaft, Wirtschaft und anderen Künstlern. Die Singularität eines Lebewesens steht in seiner künstlerischen Arbeit im Vordergrund. In der Berlinischen Galerie präsentiert er drei Installationen: Den Masthahn Heinrich, den Greiner aus dem Mastbetrieb holte und – als lebende Skulptur – in ein Kinderdorf brachte. Mit einem 3D-Drucker ließ er das Skelett eines 30 Tage alten Masthuhns der Kategorie 308 in der Größe eines Dinosauriers-Skeletts wie im Naturkundemuseum drucken. Eine Referenz auf die direkte evolutionäre Abstammung der Vögel und gleichzeitig die Frage an die Zukunft der Evolution. Die Meereswelt ist ein weiterer Themenkomplex des Künstlers, so lässt er Algen im Museum wachsen, gibt Ihnen eine Individualität durch extremste Mikrofotografie oder lässt die leuchtenden Punkte auf der Haut von Leuchtkalmaren in Tokio, die er in einem ästhetischen Video eingefangen hat, von dem Musiker Tyler Friedman in einer Partitur interpretieren. Eine eindrucksvolle wie sensible Sicht auf die Welt unter der Oberfläche.

Weitere Informationen zu den Ausstellungen in den Institutionen:

Hamburger Bahnhof
KuLe e.V.
AFROTAK TV cyberNomads
Neuer Berliner Kunstverein
HAU Hebbel am Ufer
Martin-Gropius-Bau
Berlinische Galerie

Berlin Art Week – Programm und mehr

Tags : Andreas GreinerAnne ImhofBerlin Art WeekBerlinische GalerieCyber NomadsHalil AltindereHamburger BahnhofHAU Hebbel am UferKuLe e.V.Martin-Gropius-BauNeuer Berliner Kunstverein n.b.k.Pina Bausch