Vor 100 Jahren hatte Dada nicht nur die künstlerischen Ausdrucksformen, sondern auch den Blick auf Gesellschaft, Normen und das „Fremde“ radikal verändert. Ob kulturelle Bildung heute ähnliches bewirken kann, scheint eher fraglich. Und doch ist der anlässlich der Ausstellung „Dada Afrika. Dialog mit dem Fremden“ neu etablierte „Raum für Dialog und Experimente“ in der Berlinischen Galerie eine weitere große Etappe für die kulturelle Teilhabe aller Menschen und Altersklassen in Museen.
Nicht verschanzt in eine Ecke oder abgeschirmt vom Ausstellungsgeschehen setzt die Berlinische Galerie in Zusammenarbeit mit Jugend im Museum e.V. auf die Sichtbarkeit der kulturellen Bildung im eigenen Haus und proklamiert wie definiert sie damit erneut als gleichwertigen Bestandteil ihres Programms. „Dada ist hier!“, die Wortspielerei betitelt selbstbewusst den hinteren linken Ausstellungsraum, der mit seinen immerhin 200 m² nun für zwei Monate zum Experimentieren, Gestalten, Erforschen, Kommunizieren und Reflektieren einlädt. Unter der Prämisse, eine Interaktion mit der Kunst zu initiieren, werden die Besucher thematisch ganz unterschiedlich zum Reflektieren ihrer Vorstellungen vom „Eigenen“ und „Fremden“ angeregt. Der „Raum für Dialog und Experimente“ bündelt eine vielseitige Kunst- und Kulturvermittlung, die auf eigene Faust oder in diversen Workshops wahrgenommen werden kann. So offen das Angebot, so offen sind auch die Altersgruppen, die hier partizipieren können, und das ist doch ungewöhnlich.
Der Projektraum gliedert sich in verschiedene Themenecken, wovon einige direkt auf die Vermittlung der Kunst abzielen: So regen Aktionskarten an, die Ausstellung oder auch Werke der Sammlung zu erkunden, Bildinhalte nachzustellen oder kleine Performances zu kreieren. Tastmodelle und Materialproben bieten zudem einen haptischen Zugang zu den Kunstwerken. Ergänzend werden in der Film-“Lounge“, ein überdimensioniertes Kastenbett mit ebenso überdimensionierten Kissen, die Filme und Bildserien aus dem offenen Medienatelier gezeigt, das einmal pro Woche stattfindet. „Hier sprichst du“ ist die Kommentar-Wand, auf der alle Meinungen kundgetan und geteilt werden können.
Richtig spannend wird es bei den weitergefassten Themen, die mit Blick auf die Gesellschaftsstrukturen zu Zeiten von Dada das Heute befragen und zu weiteren Transferleistungen anregen. In der Themenecke „Wir machen eine Ausstellung“ werden Vorstellungen, was das „Fremde“ denn sei, visualisiert. Durch mitgebrachte oder selbst gestaltete Dinge und Objekte können Besucher ihrer Idee vom Fremden Ausdruck verleihen. All diese Gegenstände gehen als Leihgabe oder Schenkung in das „Depot“, selbstverständlich mit Leihschein und Objektbeschreibung, und werden vor einer Wand arrangiert, nein kuratiert. Denn sukzessive entsteht so eine Ausstellung der Dinge, die die Diskussionen um die Präsentation der ethnologischen Sammlungen im Humboldt Forum sowie weltweit unweigerlich mit einbezieht. Warum kommt ein Objekt ins Museum? Welche Aufgabe hat das Museum? Was macht ein Ding wertvoll? Das sind Fragen, die in die Alltagsdingwelt überleiten und sich ebenso für den Handel wie für den, auch ganz subjektiven, Wert von Objekten stellen. Die Ecke „Tausch dich glücklich“ lässt jedem frei, was er gegen ein dort vorgefundenes Objekt tauschen möchte. Was sind die eigenen Maßstäbe für den Tausch? Worin besteht für mich der Wert?
„Verändert etwas. Spielfeld der Gedanken“ lädt ebenso aktiv ein, Gesellschaft heute zu reflektieren. Das große Gemälde von Anton von Werner „Enthüllung des Richard-Wagner-Denkmals im Tiergarten“ von 1908 stellen die Schüler der Robert-Koch-Schule – Jugend im Museum und die Berlinische Galerie entwickelten einige der Angebote mit ihnen – zur Disposition für eine Aktualisierung. Die Schüler/innen nahmen die porträtierten Persönlichkeiten aus Politik, Gesellschaft und Kultur aus der gefertigten Kopie des großen Historiengemäldes, um die Zeremonie um das Denkmal mit der Frage „Wer fehlt?“ mit neuem Leben füllen zu lassen. Mit Zeichnungen, Fotos, Zeitungsausschnitten, Collagen kann jeder zum aktuellen Porträt von diverser Gesellschaft beitragen und so in geteilter Autorenschaft das Historienbild neu „malen“. Ein Rollstuhlfahrer, eine beobachtende männliche Rückenfigur, Kinder und eine Muslimin nehmen bereits an der Zeremonie teil. Der durchgängige Versuch der Initiator/innen, mit dem „Exotischen“ zu brechen scheint bereits gelungen.
Zwischen der großartigen Ausstellung „Dada Afrika. Dialog mit dem Fremden“ und dem „Dada ist hier! Raum für Dialog und Experimente“ ist derzeit im übrigen die ebenfalls immer wieder sehenswerte und äußerst ironische Rauminstallation „The Art Show“ von Edward und Nancy Reddin Kienholz präsentiert. Damit ergibt sich ein wunderbarer Rundgang durch die Vielfalt der sogenannten Rezeption von Kunst und Gesellschaft.
„Dada ist hier! Ein Raum für Dialog und Experiment“ und die Ausstellung „Dada Afrika. Dialog mit dem Fremden“
sind noch bis zum 7. November 2016 zu erleben und zu sehen.
Berlinische Galerie
Landesmuseum für Moderne Kunst, Fotografie und Architektur
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Alte Jakobstraße 124–128
10969 Berlin
Mittwoch–Montag 10:00–18:00 Uhr
Dienstag geschlossen
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