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Kunst oder Hirsche?

Peter Robinson
© ifa-Galerie Berlin

„Alles ist upside down“, so Misal Adnan Yildiz. Und wirklich ist in dieser Gruppenausstellung vieles anders. Üblicher Weise präsentieren einzelne Künstlerpersönlichkeiten ihre bereits fertigen Arbeiten nebeneinander. Nicht so in der von  Elke aus dem Moore und Yildiz kuratierten Ausstellung „Politik des Teilens. Über kollektives Wissen“. Den Titel nahmen die Künstler wörtlich, interagierten, tauschten die Rollen, sahen sich nicht im Wettbewerb miteinander, sondern im Austausch. Vor allem entfachten sie einen wirklichen Dialog über Kontinente hinweg.

Yildiz, Direktor des Artspace New Zealand, kommt aus Aukland – zwölf Flugstunden von Berlin entfernt. Aus einer Welt, in vielem so anders und in Entscheidendem so nah. So entstand im Dialog mit sieben internationalen Künstlern diese spezielle Ausstellung für die Berliner ifa-Galerie. Als Elke aus dem Moore, Leiterin der Abteilung Kunst des ifa-Institutes, sagte „Wir atmen dieselbe Luft“, spielte sie auf eine der Inspirationsquellen zur Ausstellung an. Bei der traditionellen „Hongi“-Begrüßungsgeste der Maori berühren sich Stirn und Nase der Grüßenden, so dass ihr Lebensatem sich verbindet.

Menschen rund um den Globus teilen Luft und Wasser und ihre Abhängigkeit von natürlichen Ressourcen. Doch welche Gemeinschaftskonzepte teilen die Menschen der verschiedenen Kulturen? Was bedeutet Teilen bei ihnen und unter welchen Bedingungen findet es heute statt? Das bilaterale Recherche- und Ausstellungsprojekt führt künstlerische und soziologische Positionen aus der Region des Pazifiks und Europas zusammen. So offenbart das Wissens- und Wertesystem der Maori gänzlich neue Bedeutungen von Eigentum, Besitz und Willkommenskultur.

Mit seinen „Syntax Systems“ etwa lädt der international renommierte neuseeländische Künstler Peter Robinson das Publikum zu Interventionen ein. Er hat abstrakte Formen aus Filz, Polystrole und Stahl quer über die Galerieräume verteilt; sie hängen an der Wand oder liegen in Haufen auf dem Boden. Berühren ist keineswegs verboten, im Gegenteil: Der Besucher darf seinem Trieb nachgeben, die Exponate anzufassen und die Installation zu verändern oder durch Selbstgebasteltes zu ergänzen – Material dazu liegt im Nebenraum parat. Robinson begegnet der virtuellen Realität demonstrativ mit einer neuen Körperlichkeit: „Man kann die Wirklichkeit fühlen.“

„Slow down“, fordert der Kurator Misal Adnan Yildiz. Diese Devise hat der Hamburger Künstler Daniel Maier-Reimer verinnerlicht, der zu Fuß von Auckland nach Christchurch/ Neuseeland gewandert ist. Es gehört zu seinem Konzept, alleine weite Strecken zurückzulegen, eine Region in sich aufzunehmen und die Reise mit einem einzigen Foto – oder manchmal auch gar keinem – zusammenzufassen. Wenn es dann um das Ausstellen seiner Arbeit gehe, sei er abhängig von anderen, bekennt er. In diesem Fall von Syafiatudina – dem ifa-Publikum bereits bekannt als Moderation von Radio KUNCI –, die er in Christchurch kennengelernt hatte. Allerdings zog sie es vor, das Projekt weniger fußgängerisch als intellektuell zu unterstützen, und begleitete die Reise in Briefform. Auf einer Transportkiste gelagerte tagebuchartige Hefte, die vom Besucher mitgenommen werden können, fassen Syafiatudinas Korrespondenz zusammen, in der sie Maier-Reimers Reiseerfahrungen mit ihren Freunden teilt.

Um „Zeit verschwenden“ oder aber „Zeit schenken“ geht es in der Performance „Maumau taimi/ Wasting Time“ von Kalisolaite Uhila, der tongaische und westliche Zeitkonzepte einander gegenüberstellt, während die Fotografin Natalie Robertson sich in der Serie „Time of darkness, time of light“ mit den Land- und Raumkonflikten zwischen Siedlern und indigener Bevölkerung auseinandersetzt. „Man ist immer dem Land verbunden, auf dem man geboren ist“, so ihre Überzeugung. Ihre Fotos zeigen ein „Strata“-Areal, eine Parzelle Land, die den Maori als Treffpunkt dient, aber auch als Ort des Opfers und des Gebets. Für die Fotos musste sie erst das Vertrauen des Stammes gewinnen, denn eine Abbildung kann in dessen Vorstellung dem Tod gleichkommen, wenn der Kontext nicht vorab geklärt ist.

Ein Höhepunkt der Ausstellung ist schließlich die Arbeit des Mexikaners Gabriel Rossell-Santillán und zugleich ein Paradebeispiel dafür, was es heißt, vom eurozentrischen Blickwinkel abzuweichen und sich in einen wirklich interkulturellen Dialog zu begeben – auch wenn dieser das eigene künstlerische Konzept beeinträchtigen kann. In seiner Installation ergründet der Künstler, der die Hälfte des Jahres in Berlin und die andere Hälfte des Jahres in der Huichol Community in Mexiko lebt, die Transformation kulturellen Wissens. Rossell-Santillán hatte den Schamanen Dionisio vom Volk der Maracame/ Wixáritari eingeladen, im Ethnologischen Museum in Dahlem die Objekte seines Stammes zu erklären sowie die Geschichten, die damit verbunden sind – immer das Einverständnis der Gemeinschaft vorausgesetzt.  Gabriel Rossell-Santillán, "Obsidiano", Zeremonie mit Dionisio de la Rosa Xaureme Candelario Cosío im Magazin des Ethnologischen Museums Dahlem 2006, 2006 / 2016, Kabinettdesign Carlos Romay 2016

Aus einem vulkanischen Stein, einem Obsidian heraus, der von den Indianern als heilig erachtet wird, erscheint per Video das Gesicht des Schamanen und vermittelt den Eindruck einer fernen, entrückten Welt. Dioniso versucht, mit den Objekten aus Jalisco zu kommunizieren, doch erkennt, dass diese längst tot sind – so dass einem Verkauf der Arbeit nichts mehr im Wege steht. Doch anstelle des von Rossell-Santillán geplanten tragbaren Archivs, in dem die Geschichten der Wirrarika-Gemeinde festgehalten werden sollen, entschied der Rat der Weisen um: Mit den Einnahmen wurden stattdessen Hirsche gekauft …

 

Tags : Artspace New ZealandElke aus dem MooreMisal Adnan YıldızPolitik des Teilens/ Über kollektives Wissen