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Heim und Heimat

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copyright: KUNSTASYL

„Man kann die Heimat auswechseln, oder keine haben, aber man muss immer, gleichgültig wo, wohnen“, hat Vilém Flusser einst geschrieben. Der aus Prag stammende Philosoph wusste nur zu gut, wovon er redet, war er doch selber ein Exilant, der vor den Nationalsozialisten flüchten musste und seine gesamte Familie in den Konzentrationslagern verloren hatte.

Ein Pinboard mit Wohnungsgesuchen erwartet den Besucher am Eingang der Ausstellungshallen des Museums Europäischer Kulturen in Dahlem. Mohammad aus Damaskus sucht ein Einzimmerapartment oder ein WG-Zimmer. Auch der Steueranwalt Atef hofft auf eine Unterkunft. Frau und Kinder sind noch in Aleppo… Doch wo werden Mohammad, Atef und viele andere Menschen aus dem Wohnheim in der Staakener Straße in Spandau langfristig unterkommen – und sich gar heimisch fühlen?

daHEIM_1Gemeinsam mit KUNSTASYL, einer Initiative von Künstlerinnen und Künstlern, Kreativen und Asylsuchenden, erarbeitet Caveng seit März diesen Jahres in einem partizipatorischen Werkstattprozess die Präsentation „daHEIM: Einsichten in flüchtige Leben“, die am 22. Juli in einer Ausstellung gipfeln wird. „Das Ziel ist die gemeinsame Verantwortung aller Beteiligten zur Bestimmung ihres kulturellen Erbes“, so die Projektmanagerin. Erfahrungen, Wünsche, Lebensperspektiven und Wohnwelten der Menschen, die fliehen mussten, sollen mit den Mitteln der Kunst durchgespielt und festgehalten werden – immer im möglichen Dialog mit dem interessierten Besucher.

Dabei korrespondieren diese Entwürfe eines „daHeims“ mit den Erinnerungen von Migranten aus und nach Europa im 19. und 20. Jahrhundert. An die Wand geschriebene Zitate von Anna Seghers, deren Flucht vor den Nationalsozialisten sie über Paris bis nach Mexiko führte, stehen im unmittelbaren Dialog mit den Erfahrungen des aus Eritrea stammenden 28-jährigen Bereket, der u.a. seine Ankunft beim Lageso reflektiert.

„Ich sah zu den Sternen hinauf und dachte ein wenig getröstet, ich weiß nicht, warum diese Sterne wohl für mich da seien und für Menschen und für meinesgleichen und für die, die jetzt eigene Lichter anzünden“, philosophierte Seghers, wobei auch Bereket trotz schmerzhafter Erfahrungen seinen Optimismus nicht aufgegeben hat: „Ich empfinde keine Schwere. Mein Leben ist normal. Es ist so, wie man es sich selber macht. Leichtigkeit empfinde ich schon. Es gibt ja immer etwas, was einen gerne leben lässt.“ Bereket hat die Fahrt übers Meer von Libyen nach Europa überlebt. Im Rumpf des Schiffes seien „die Körper von 800 Menschen zu einem verschmolzen, verbunden für 48 Stunden auf Leben und Tod“.

In seinem Heimatort Ghergef im Süden Eritreas hat Bereket den Bau von Dächern gelernt. Seit Ende Mai hat er im Garten des Museums ein Dach in der lokalen daHEIM_5Tradition der Bewohner Ghergefs gebaut. „AGEDO – [k]ein Dach überm Kopf“ ist Teil des gemeinsamen Ausstellungsprojektes von KUNSTASYL und dem Museum Europäischer Kulturen. Insgesamt eine Fuhre Stroh, 34 halbe und vier Kieferpalisaden, 200 Meter Weiden und Hunderte von Metern Schnur benötigte Bereket zur Konstruktion und Bau seines ersten Daches in Deutschland. Einen Lehrling hatte er auch bereits angelernt: den Architekten Aymen. Es zählt zum Kerngedanken der partizipatorischen Kunstprojekte von Barbara Caveng, dass jeder seine Stärken einbringt und offen ist für die Stärken des anderen. Eine kreative Win-Win-Situation.

Direkt neben dem Dach ist der Garten der Träume angelegt. Ihren Schmerzen setzen die Geflüchteten etwas Wachsendes, Florierendes entgegen. Neben Blumen pflanzen sie Hoffnung.

Die Thematik hat eine „unfassbare Komplexität“ resümiert Barbara Caveng, die sich sowohl in Idomeni als auch auf Lampedusa auf Spurensuche begeben hatte. So zeugen gefundene Kleidungsstücke von der gefährlichen Flucht über das Mittelmeer, die für viele keinen Beginn in die Zukunft markierte. „Das Projekt ist Schmerz“, erklärt die Künstlerin. Vor allem, wenn sie den Menschen durch die Arbeit nahe gekommen sei. Wie im Falle von Zineta, einer Romafrau aus Bosnien, und ihrer Enkelin Melisa. Nur ein Monat trenne sie und Zineta altersmäßig. “Wir sind Freundinnen geworden“.

daHEIM_4Zineta war 2011 in Folge rassistische Überfälle nach Deutschland geflüchtet, ihr Haus war angezündet worden. Doch in Deutschland konnten sie und Melisa nicht bleiben, mussten zurück nach Bosnien in die Hausruine. „Was für ein Pech man haben kann, wenn man in einem anderen Teil der Welt geboren ist“, sagt die Graubündnerin nachdenklich. Den einsturzgefährdeten Dachstuhl hat das KUNSTASYL-Team nachgebaut. Darunter befindet sich ein schmiedeeisernes Bett aus dem Heim in Spandau, ein Bild, mit dem Zineta ihr Zimmer dekoriert hatte und eine übergroße „Kitticat“ aus rosa Plüsch.

„Und wenn ich denke, ich habe zu Hause kein Geld, ich habe nichts zu essen, und meine Kinder haben Hunger“, hat Zineta noch vor ihrer Abschiebung nach Bosnien zu Protokoll gegeben. „ Ich muss arbeiten, auch für 3 Euro. Aber für andere Leute… ich 10 Euro. Aber ich bin Oma, ich muss arbeiten. Schwer…“

Während Zineta Berlin verlassen musste, hat Mazin aus Syrien die Chance, hier einen Neuanfang zu starten: „Solange ich gesund bin, gibt es für mich keine Vergangenheit mehr. Alles was ich in Syrien hatte, habe ich selbst erreicht. Das kann ich wieder schaffen… Erinnerungen und Emotionen stellt man nicht zu und mit einem Ort her, sondern mit Menschen, die man liebt. Ich kann hier neue Erinnerungen schaffen.“

Eine große Installation von Dachil Sado aus Bettgestellen, in die Monitore eingefügt werden, wiederum soll der Bewahrung alter Erinnerungen an die verlorenen daHEIM_2Heimaten dienen. Dachil, der mit Barbara Caveng bereits einige Projekte realisiert hat, werde ab dem Sommer an der Kunsthochschule in Weissensee studieren, erklärt die Künstlerin voller Freude.

Eine begonnene Wandarbeit in den Ausstellungsräumen ist bereits seit einigen Tagen verwaist. Der Iraker, der sie begonnen hat, ist mental nicht in der Lage, sie fortzuführen. Zu groß die Sorge des Traumatisierten um seine Eltern in der Heimat, zu barbarisch die Dinge, die er erlebt hat. Von den Grausamkeiten zeugt seine Zeichnung: Hinter einem bewaffneten IS-Kämpfer mit Schwert reihen sich unzählige Strichmännchen, alle im gleichen, dem therapeutischen Prinzip der Wiederholung folgenden Duktus, auf die Wand aufgetragen. Barbara Caveng macht auf die Köpfe aufmerksam, die waagerecht auf dem Körper zu liegen scheinen, um 180% gedreht: „Es ist eine Welt, die tatsächlich komplett aus den Fugen geraten ist“.

 

Weitere Informationen

Eröffnung der Ausstellung „daHEIM: Einsichten in flüchtige Leben“ (22.07.16-2.07.17) ist am 21.07.16 um 18.00 Uhr. Immer donnerstags von 11.00 – 17.00 Uhr und samstags von 12.00 bis 18.00 Uhr kann die in einem werkstatt-artigen Prozess befindliche Ausstellung bereits besucht werden.

Tags : Barbara CavengDachil SadodaHEIM: Einsichten ins flüchtige LebenKUNSTASYLMuseum Europäischer Kulturen