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Geteilte Erinnerungen – Filme für Demenzkranke

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My Life Films

Wenn das Gedächtnis schwindet, die Erinnerungen verblassen und einst bekannte Gesichter fremd werden, wie kann man dann an seinem eigenen Leben noch teilhaben? Demenz isoliert die Erkrankten schleichend von ihrem vertrauten Umfeld und beraubt sie ihrer eigenen Geschichte.

Oft sind es Klänge, Bilder oder andere Schlüsselreize, die bei demenzkranken Menschen intensiv erlebte, emotional besetzte Momente zurückholen und Erinnerungen wachrufen.

„Wir versuchen, durch einen Film solche positive Stimulanzen zu schaffen“, erklärt Jörg Roth. Er ist Geschäftsführer von „My Life Films“ in London. Ziel der gemeinnützigen Gesellschaft ist es, das Leben der Erkrankten gemeinsam mit den Angehörigen Revue passieren zu lassen und filmisch aufzuarbeiten – damit die inneren Bilder in den Demenzkranken so lange wie möglich weiterleben.

Ein Team von Filmemachern und Redakteuren recherchiert bei und mit den Familien vor Ort die Lebensgeschichte und wählt geeignete Bilder dazu aus: Fotos und Filmaufnahmen von glücklichen Tagen. Der Hochzeit etwa, dem ersten Adria-Urlaub, der Einschulung des Enkels. Welches vor allem ist die Lieblingsmusik, der Song, der schon immer ein Lächeln auf die Lippen zauberte?

Für viele Familien ist das Aufarbeiten der gemeinsamen Historie darüber hinaus eine Chance, näher zusammenzurücken, sich besser kennenzulernen und gemeinsam eine meist schwierige Zeit leichter zu überstehen.

_Y4A4333-61Die biografischen Filme sind somit für den Betroffenen persönlich wie sein ganzes Umfeld von Wert, denn sie lassen ein Stück geteilte Identität wieder erstehen. Und sie bewahren die Erinnerungen für spätere Generationen.

Umso mehr Material vorhanden und umso weniger das Stadium der Demenz vorangeschritten ist, desto vielversprechender sei die Ausgangssituation für alle Beteiligten, weiß Roth aus Erfahrung. In der Regel entscheide die erkrankte Person, an welche Zeitspannen ihres Lebens sie sich am liebsten zurückerinnern wolle. Wenn das Material gesichtet sei, einigten sich der „Protagonist“ bzw. dessen Familien und die Filmemacher dann auf ca. zehn Kapitel à drei bis vier Minuten. Dreißig langsam geschnittene Minuten, die den Kranken nicht überfordern.

Die Arbeit des My Life-Teams wurde bislang komplett durch private Spenden, Stiftungsgelder u.a. finanziert, so dass auch Familien mit geringem Einkommen von ihr profitieren können. Auch deshalb findet das Projekt in Großbritannien wie in Deutschland viele Unterstützer: So konnte im Juni 2015 in Köln die My Life Films Deutschland gGmbH gegründet werden, deren Co-Geschäftsführung  Alexa Iwan übernommen hat. Eine Crowdfunding-Kampagne wird demnächst bei Vision Bakery starten.

Derzeit führt My Life Films in Kooperation mit der Gesundheitsbehörde von South West London sowie dem St. George‘s NHS Trust eine wissenschaftliche Untersuchung durch, die die Lebensqualität von Personen misst, die den Service von My Life Films genutzt haben. Dabei ist Philip Woodgate, der Recherchekoordinator des Barnes Hospital, optimistisch: „Wir hoffen, dass diejenigen, die die Filme veranlasst haben, eine bessere Stimmung zeigen, mehr Lebensqualität haben und ein weniger herausforderndes Verhalten zeigen.“

10733999_1641414702741646_4516021357494322676_nIm Fokus steht der Nutzen für die Betroffenen und ihre Familien. Darüber hinaus verbinden sich mit dem Projekt auch praktische Fragen: Können biografische Filme für Menschen mit Demenz das Gesundheitssystem finanziell entlasten? Nicht zu unterschätzen ist etwa der Nutzen für das Personal in Pflegeheimen, das sich mithilfe der Filme schnell und individuell auf den Erkrankten einstimmen kann.

Bisher waren die Erfahrungen aller Involvierten weit überwiegend positiver Natur. So zeigt das „Making of“ des Films über Roswitha Tilgner, eine 70jährige Münchnerin, wie sie in ihre Rastlosigkeit für die Dauer fast des ganzen Films ablegt. Unruhig wird sie erst bei den beiden letzten Kapiteln, die die jüngere Vergangenheit betreffen. „Ein sehr bemerkenswertes Ergebnis“, findet Ehemann Reiner Tilgner.

Und negative Resonanzen? Jörg Roth lacht. Dazu falle ihm lediglich der Fernseher ein, den die Ehefrau eines irischen Patienten nur mit Mühe vor der Zertrümmerung retten konnte: „Immer wenn Paddy den Siegertreffer seines lokalen Hurling-Vereins (keltischer Ballsport) über den gefürchteten Derby-Favoriten durchlebte – und das tat er oft – stürmte er mit seinem Schläger zum Fernseher. Er wollte wohl an die glanzvollen alten Tage anknüpfen.“

 My Life Films Deutschland

 

 

 

 

Tags : DemenzJörg RothMy Life FilmTeilhabe